TELEMED 2012: Mobile Health-Apps vereinfachen Home Care – die Versorgungforschung steht vor Herausforderungen
Staatssekretär Braun (BMBF) betont vor dem Hintergrund des demographischen Wandels die Notwendigkeit einer effektiven Versorgungsforschung in Deutschland
Veranstaltungsort der diesjährigen TELEMED: die Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin.
29.06.2012. Smartphone-basierte mobile Health-Apps,
aktuelle Trends in der Telemedizin und Fragen der Versorgungsforschung standen
bei der diesjährigen TELEMED, dem Nationalen Forum für Gesundheitstelematik und
Telemedizin, im Mittelpunkt. In der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin
wurden die hiermit verbundenen Fragestellungen intensiv von den rund 100
Besuchern des gemeinsam vom Bundesverband Medizinischer Informatiker (BVMI),
der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung
(TMF) und der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitstelematik (DGG)
veranstalteten Expertenforums diskutiert.

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Prof. Arno Elmer stellte nächste
Meilensteine für die Weiter-
entwicklung der Gesundheitskarte vor.
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Prof.
Arno Elmer, Geschäftsführer der Gematik, bekräftigte in seinem
Eröffnungsvortrag, dass die Gematik mit dem Roll-out der Gesundheitskarte und
dem Aufbau der Telematik-Infrastruktur erfolgreich das wichtige Grundgerüst für
künftige medizinische IT-Dienste liefern werde. Er kündigte zudem an, dass die
Gematik sich in Zukunft verstärkt um Kommunikation bemühen werde, um Vorbehalte
in der Bevölkerung und bei den Akteuren im Gesundheitswesen abzubauen.
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Dr. Helge Braun betonte die
Bedeutung von Versorgungs-
forschung für eine zukunfts-
fähiges Gesundheitssystem.
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Versorgungsforschung als Schlüssel für die
Gesundheitsversorgung von morgen
In seiner Keynote
Lecture skizzierte Dr. Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin
für Bildung und Forschung, den demographischen Wandel und den damit verbundenen
Kosten- und Innovationsdruck auf das Gesundheitssystem in Deutschland. „In
Zeiten, in denen das Thema Staatsverschuldung in Europa eine wichtige Rolle
spielt,“ so Braun, „müssen auch im Gesundheitswesen Wirtschaftlichkeitsreserven
ausgeschöpft werden, insbesondere durch die Bekämpfung von Über-, Unter- und
Fehlversorgung. Ziel ist eine qualitativ hochwertige, aber bezahlbare
Gesundheitsversorgung.“ Hierfür sei eine klinische Spitzenforschung, die
schneller zur Umsetzung in der Behandlungspraxis komme, ebenso notwendig wie
eine effiziente Versorgungsforschung. Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) arbeite daher an einem Aktionsplan für die Versorgungsforschung.
Weiterhin kündigte Braun Fördermaßnahmen seines Hauses – „Assistierte Pflege
von morgen“ und „Arbeit plus“ – an, mit denen das BMBF den Herausforderungen
des demografischen Wandels begegnen möchte und in denen auch der Telemedizin
eine wichtige Rolle zukomme.
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Dr. Thomas Helms und Prof. Dr.
Ulrich Köhler stellten Telemedizin-
konzepte in der Pneumologie vor
und formulierten Anforderungen
an eine hohe Versorgungsqualität.
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Hürden für Versorgungsforschung und Telemedizin
In weiteren
Beiträgen wurden Hürden für die Telemedizin und die Versorgungsforschung
aufgezeigt. Für den Einsatz Smartphone-basierter Apps im weitesten Kontext zur
Patientenversorgung fällt die Abgrenzung schwer, wann eine solche mobile
Anwendung unter die Regularien des Medizinproduktegesetzes (MPG) fällt und wie
dessen Erfordernisse umsetzbar wären. Bei einem Einsatz von Smartphone-Apps in
klinischen Studien ist zudem gesetzlich die Einhaltung der Vorgaben der Good
Clinical Practice (GCP) erforderlich, die auch strenge Auflagen für IT-Systeme
vorschreiben. Grundsätzlich existieren zudem viele Hürden und Grauzonen für die
Versorgungsforschung durch die nationale und europäische Gesetzgebung zum
Datenschutz.
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Auf dem Podium wurde über die
Bedeutung des Medizinprodukte-
gesetzes für Health-Apps diskutiert.
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Auch die Frage, welche Perspektive das
GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) für die Versorgungsforschung und die
Telemedizin bietet, lässt sich nach Einschätzung der Experten auf der TELEMED
noch nicht abschließend beurteilen. Einhellige Meinung war hingegen, dass die
mangelnde Standardisierung der Daten und Prozesse eine große Herausforderung
darstellt. Hier greifen – so Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF, in
seinem Beitrag – in besonderer Weise die Bereiche der Forschung und Versorgung
ineinander: „Ohne eine Standardisierung der medizinischen Dokumentation in der
Krankenversorgung wird Versorgungsforschung nicht möglich sein.“
Health-Apps kein Allheilmittel, aber eine Erleichterung
für Ärzte und Patienten
Zahlreiche
Fachbeiträge illustrierten, dass sich in überraschend kurzer Zeit Smartphone-Apps
auch im professionellen Segment des Gesundheitswesens etablieren. Dabei stehen
sowohl Apps für den Patienten in seinem Wohnumfeld als auch für den Arzt im
Fokus.
So können
beispielweise Hörgeräteträger mittels einer App auf dem Tablet PC selbst die
Feineinstellung ihres Hörgerätes vornehmen, Schlaganfallpatienten werden über
die Smartphone App „Stroke Manager“ bei Sekundärprävention und
Krankheitsmanagement unterstützt und Ärzte können mobil auf
einrichtungsübergreifende Patientenakten zugreifen. Aus Sicht der auf der Tagung vertretenen Industrieunternehmen sind zwar
unrealistische Erwartungen an die Preisgestaltung zu verzeichnen, gleichwohl
wird in Smartphone-Apps eine gute Chance gesehen, das bisherige
Produktportfolio und Usability-Konzept zu ergänzen. Vor allem durch einfachen,
mobilen Datenzugriff soll eine höhere Akzeptanz für IT-Anwendungen bei den
Ärzten gewonnen werden.
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Dr. Stephan Schug stellte die
europäische Perspektive auf
Telemedizin für chronisch Kranke
anhand des Projektes RENEWING
HeALTH vor.
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Insgesamt stehen zwei wichtige Trends bzw. Erkenntnisse
im Mittelpunkt des Expertenforums: 1. Eine vielversprechende, aber zugleich
schwierige Aufgabe stellt die Integration mobiler Health-Apps in professionelle
IT-Systeme dar. 2. Die telemedizinische Technologie – sei es mithilfe von
Smartphone-Apps oder anderer Systeme – kann nur eine Unterstützung der direkten
Kommunikation zwischen Ärzten bzw. Ärzten, Pflegern und Patienten sein.
Letzteres wurde insbesondere anhand der präsentierten telemedizinischen
Beispiele aus der Schlaganfallbehandlung und Pneumologie deutlich.
Prof. Dr.
Ulrich Köhler, Phillips Universität Marburg, zeigte am Beispiel von Patienten
mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung im fortgeschrittenen
Krankheitsstadium, wie durch Telemedizin die Zusammenarbeit zwischen klinischer
und häuslicher Versorgung
verbessert werden kann. Mehrere Vorträge stellten den Nutzen von Telemedizin
und Health-Apps zur Optimierung der Rettungskette in der Notfallversorgung
heraus. Dies wurde anhand von Beispielen zu einer besseren Einsatzkoordination
bei Großschadenslagen, zu einer elektronischen Voranmeldung von Patienten im
Krankenhaus durch den Rettungsdienst und zu einer frühzeitigen Diagnostik bei
Schlaganfallpatienten, unterstützt durch ein Telekonsil im Rettungswagen,
deutlich. Die Experten sind sich trotz der unterschiedlichen
Optimierungsansätze einig, dass Telemedizin stets am Praxisbedarf ausgerichtet
und nicht technologiegetrieben sein sollte.
Dr. Stephan
Schug, Geschäftsführer der DGG, hob in seinem Beitrag hervor: „Smartphones etablieren
sich in atemberaubender Geschwindigkeit als universelle Plattform für telemedizinische
Behandlung und Prävention. Gleichzeitig zeigen neueste Studien, dass Technologie
allein nicht ausreicht: zentrale Wirkfaktoren sind individuelle Kommunikation
und persönliche Zielvereinbarungen."
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Dr. Rainer Röhrig überreichte Oliver
Heinze den TELEMED-Award für den
besten Beitrag im Rahmen des
wissenschaftlichen Calls.
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TELEMED-Award verliehen
Der jährlich
verliehene TELEMED-Award für den besten eingereichten Beitrag zur
Gesundheitstelematik und Telemedizin im Rahmen wissenschaftlichen Calls ging in
diesem Jahr an Oliver Heinze (Zentrum für Informations- und Medizintechnik des
Universitätsklinikums Heidelberg) für die vorgestellten Arbeiten an einer App
für den mobilen Zugriff auf IHE-basierte, einrichtungsübergreifende,
elektronische Patientenakten.
Dr. Rainer Röhrig (Justus-Liebig-Universität Gießen), der Vorsitzende des Programmkomitees der TELEMED 2012, zog eine positive Bilanz: „Die Beiträge auf der diesjährigen TELEMED haben nicht nur den aktuellen Stand der Technik und der Wissenschaft dargestellt, sondern auch Perspektiven für die zukünftige Gestaltung des Gesundheitswesens aufgezeigt. Es gilt jetzt eine IT-Infrastruktur für die Krankenversorgung und Versorgungsforschung als Grundlage für eine hochwertige und bezahlbare Gesundheitsfürsorge von morgen zu schaffen. Das Ziel der TELEMED ist es auch weiter hierzu einen Beitrag zu leisten.“
- Pressemitteilung [pdf | 152 KB]
- Download Programmflyer [pdf | 3,2 MB]
- Bildergalerie zur Veranstaltung
- TELEMED-Website
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Dr. Helge Braun, Prof. Arno Elmer und Dr. Stephan Schug hoben in der Diskussion die Selbst-
bestimmung der Patienten bei der elektronischen Speicherung von medizinischen Daten hervor. |
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Rund 100 medizinische Forscher, IT-Experten und Industrievertreter nahmen an der TELEMED
2012 im Hörsaal der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin teil. |
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Programm- und Organisationskomitee der Telemed 2012 |