Viele genetische Faktoren – begrenzte Effekte
TMF-School extra: Teilnehmer diskutieren über die realistische Einschätzung der Potenziale und Ziele genomischer Forschung
Die Referenten des Kurses “Logical Reasoning in Human Genetics” waren extra aus den USA angereist (v.l.n.r.): Kenneth M. Weiss, Joseph D. Terwilliger, Joseph H. Lee.
10.10.2012.
Präzise, beantwortbare Fragestellungen, adäquate Studiendesigns und die
Fokussierung auf natürliche Experimente in humanen Populationen werden künftig
wesentliche Erfolgsfaktoren der Genomforschung sein. Diese Folgerung zogen
Teilnehmer und Referenten des Kurses „Logical Reasoning in Human Genetics“, der
vom 24. bis 28. September 2012 als Extra-Ausgabe der TMF-School in Berlin
stattfand.
Dozenten waren der Evolutionsgenetiker Kenneth M.
Weiss (Pennsylvania State University), der statistische Genetiker Joseph D.
Terwilliger und der angewandte genetische Epidemiologe Joseph H. Lee (beide
Columbia University, New York). Schwerpunkte des Kurses waren die
wissenschaftsphilosophischen Grundlagen, die Komplexität und quantitative Natur
der phänotypischen Manifestierung genetischer Information,
populationsgenetische und evolutionäre Erkenntnisse sowie die Vorstellung
grundlegender Ansätze zur genetisch-epidemiologischen Datenanalyse.
Medizinisch-prognostisches Potenzial für die meisten Erkrankungen gering
Dabei wurde deutlich, welche Möglichkeiten sich aus der
phylogenetischen Natur genetischer Daten für ihre Analyse ergeben. Es zeigte
sich aber auch, dass diese Natur die Aufklärbarkeit genetischer Ursachen in
medizinischen Untersuchungen begrenzt. Der Unterschied zwischen detektierbaren
und medizinisch relevanten genetischen Effekten ist groß, so die Dozenten: Die
meisten genomweiten Assoziationsstudien der letzten Jahre hätten bestätigt,
dass die realistisch zu erwartende Anzahl an genetischen Faktoren groß, aber ihre
Effektstärke klein und ihr medizinisch-prognostisches Potenzial für die meisten
humanen Erkrankungen gering sei.
Entsprechend
wichtig sei die Formulierung präziser Fragen und die Verwendung adäquater
Studiendesigns. Nicht zuletzt erscheine die Rückkehr zu familiären Designs mit
ihrer höheren Power und ihrer geringeren Anfälligkeit gegen Störgrößen aufgrund
der Komplexität und quantitativen Natur genomischer Daten unausweichlich.
Hochrangige Veröffentlichungen zur Detektion seltener genetischer Varianten –
entweder rezessiv vererbt oder als de-novo
Mutationen – aus dem Next-Generation Sequencing einzelner Familien belegten
diesen Trend.
Wissen aus Populationsgenetik und Evolutionstheorie
stärker einbeziehen
„Es bleibt zu hoffen, dass das theoretische Wissen aus
Populationsgenetik und Evolutionstheorie wieder stärkeren Einfluss auf die
gegenwärtige genomische Forschung findet.“ Dieses Fazit zog Prof. Dr. Michael
Nothnagel (Cologne Center for Genomics, Universität zu Köln), der die
Durchführung des Kurses bei der TMF initiiert hatte. Die Heilsversprechen von
einer umfassenden translationalen und personalisierten Medizin, bei der von
einigen Erfolgen, wie zum Beispiel bei der Therapie einiger Tumorarten, auf die
Gesamtheit humaner Erkrankungen geschlossen werde, erinnerten an die Situation
von vor zehn Jahren, als große genetische Effekte zum Normalfall – nicht zur
Ausnahme – erklärt wurden. Daher sollten die Ziele der Genomforschung zukünftig
etwas bescheidener und realistischer ausfallen.
„In
diesem Sinne wäre die Fortführung des Kurses in der einen oder anderen Form
wünschenswert, gerne auch wieder bei der TMF. Vor allem würde ich mir dann den
Zuspruch eines größeren Publikums wünschen“, so Nothnagel. An dem Kurs hatten 12
Wissenschaftler aus Deutschland und Europa – vor allem aus Norwegen –
teilgenommen. Willkommener Nebeneffekt der kleineren Gruppe seien lebhafte
Diskussionen gewesen, betonte Nothnagel. Die Vielfalt der fachlichen Expertise
der Teilnehmer habe geholfen, Probleme und Fragestellungen von verschiedenen
Seiten zu beleuchten und so häufig den Bogen von der Theorie in die praktische
Forschung und die angewandte Humangenetik zu schlagen.
- TMF-School extra 2012

- Kursunterlagen (nur für Teilnehmer)
- TMF-School 2012
- TMF-School 2011

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Teilnehmer und
Referenten der ersten Extra-Ausgabe der TMF-School. |