Datenschätze heben – Datenschutz gewährleisten
TMF-Workshop zu Datenschutz in der medizinischen Forschung mit rund 170 Teilnehmern – Sekundärnutzung von Behandlungsdaten aktuelles Thema
30.10.2014. „Es ist
möglich, medizinische Forschung datenschutzgerecht zu gestalten.“ Dieses
Resümee aus 15 Jahren Begleitung von Forschungsprojekten bei der Entwicklung,
Abstimmung und Umsetzung von Datenschutzkonzepten
zog Prof. Dr. Klaus Pommerening (Universität Mainz) beim TMF-Workshop
zum Datenschutz in der medizinischen Forschung, der am 29. Oktober 2014 in Berlin
stattfand. Derzeit besteht allerdings insbesondere bei der Sekundärnutzung von
Behandlungsdaten für Zwecke der Forschung und Qualitätssicherung noch großer
Diskussionsbedarf. Die nach wie vor große Bedeutung des Themas zeigte sich nicht
zuletzt auch daran, dass die Veranstaltung mit rund 170 Teilnehmern ausgebucht war.
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Prof. Dr. Klaus Pommerening stellt die neuen Datenschutz-konzepte der TMF vor.
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Pommerening stellte als
Hauptautor auch die neuen generischen Datenschutzkonzepte
der TMF vor, die gerade in der Schriftenreihe der TMF erschienen sind. Die Konzepte, die die
Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder im März
2014 Forschungsprojekten als Basis für die Ausarbeitung konkreter
Datenschutzkonzepte empfohlen hat, sind für die Publikation in einen
umfassenden Leitfaden eingebettet worden.
Die Arbeitsgruppe Datenschutz der TMF berät seit vielen
Jahren medizinische Forschungsprojekte auch bei der Erstellung und Umsetzung
ihrer Datenschutzkonzepte. Sinnvoll sei es, bereits in einem frühen Stadium das
Projekt in der Arbeitsgruppe vorzustellen und mit der Arbeitsgruppe über den
Prozess hin im Austausch zu bleiben, empfahl Pommerening, der die Arbeitsgruppe
seit ihren Anfängen 1999 leitet. In einem etablierten Verfahren können Projekte
auch ein Votum der Arbeitsgruppe zu ihrem Datenschutzkonzept erhalten.
Die systematische Analyse von Behandlungsdaten ist eine vielversprechende
Methode

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Gutachter Dr. Uwe Schneider stellte das von der TMF eingeholte Rechtsgutachten vor.
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Viele Fragen und großen Diskussionsbedarf gibt es
derzeit noch bei der datenschutzrechtlichen Bewertung der Sekundärnutzung von
Behandlungsdaten: Zunehmend greift medizinische Forschung auf Daten aus der
Versorgung zurück. Das
„Heben dieses Datenschatzes“ und dessen systematische Analyse kann nicht nur
die Qualitätssicherung im Gesundheitsbereich deutlich verbessern, sondern ist
darüber hinaus auch für viele Forschungsfragen von hohem Wert. Hierzu zählen
retrospektive Studien, Machbarkeitsanalysen im Vorfeld von Studien,
Untersuchungen zur Pharmakovigilanz und viele weitere klinische und epidemiologische
Fragestellungen. Deren systematische Analyse ist eine vielversprechende
Methode, die nicht zuletzt auch für die Qualitätssicherung im
Gesundheitsbereich bedeutsam ist, aber auch Bedeutung hat für epidemiologische
Forschungsfragen. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie geförderten Projektes cloud4health hat die TMF zu zahlreichen
offenen Rechtsfragen in diesem Zusammenhang ein Rechtsgutachten eingeholt, das
Gutachter Dr. Uwe K. Schneider (Vogel & Partner, Karlsruhe) bei dem
Workshop vorstellte.
Das Gutachten zeigt, dass die Sekundärnutzung von
Behandlungsdaten für Zwecke der Forschung und der Qualitätssicherung
grundsätzlich gesetzeskonform möglich ist, jedoch ist eine Vielzahl von
Regelungen und Restriktionen im Detail zu beachten: Vorgaben finden sich nicht
nur in den Bundes- und Landesdatenschutzgesetzen, sondern beispielsweise auch
in den Landeskrankenhausgesetzen. Das Gutachten schlüsselt für jeden Fall auf,
welche gesetzgeberischen Vorgaben maßgeblich sind. Lebhaft
diskutiert wurde, ob und mit welchen Mitteln umfangreiche klinische Daten
wirksam anonymisiert werden können. Zudem wurde betont, dass das Vertrauen der
Patienten ein hohes Gut ist. Der in verschiedenen Fallkonstellationen rechtlich
definierte Spielraum für die interne Forschung ohne Einwilligung der Patienten
dürfe nur dann genutzt werden, wenn die Nachfrage nach einer Einwilligung
wirklich nicht möglich ist.
Text Mining-Strategien machen auch unstrukturierte klinische Daten
zugänglich
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Dr. Martin Sedlmayr erklärte, dass die elektronische Datenauswertung es erlaube, Daten schneller und in besserer Qualität auszuwerten.
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Dr. Martin Sedlmayr (
Universität Erlangen) wies darauf hin,
dass die Sekundärnutzung klinischer Daten nichts Neues sei, sondern
Papier-basiert schon seit langem erfolge. Neu sei die elektronische Auswertung,
die es erlaube strukturierte Daten schneller sowie – wie im Rahmen des
cloud4health-Projektes gezeigt werden konnte – auch mit besserer Qualität und
Zuverlässigkeit auszuwerten. Ein Problem dabei sei jedoch, dass ein großer Teil
des klinischen Wissens in Freitexten vorliege. Aufgabe des
cloud4health-Projektes war es deshalb, auch einen Ansatz für die Nutzung
unstrukturierter Daten durch den Einsatz von Text Mining-Strategien zu
entwickeln.
Da es für die Behandlungseinrichtungen in der Regel
wirtschaftlich nicht sinnvoll sei, hierfür eigene Infrastrukturen vorzuhalten,
habe das Projekt ein Konzept für eine Bereitstellung entsprechender
Infrastrukturen als Service erarbeitet. Dabei geschieht das Text Mining in
einer sicheren Cloud-Infrastruktur, die für das Projekt exemplarisch beim Fraunhofer-Institut
für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI aufgebaut wurde.
Ein generisches Datenschutzkonzept für die Verarbeitung von
Gesundheitsdaten in der Cloud
Anonymisierung und Pseudonymisierung sind zentrale
Bestandteile des von der TMF im Rahmen des cloud4health-Projektes entwickelten
Datenschutzkonzeptes, das Dr. Astros Chatziastros (TMF-Geschäftsstelle)
erläuterte. Demnach sei
vor der Verarbeitung in der Cloud die Anonymisierung oder Pseudonymisierung der
unstrukturierten Daten in der Klinik unabdingbar. Auf dieser Basis könne es je
nach Anwendungsfall und anwendbarem Recht unterschiedliche Modelle der Nutzung
geben. Sowohl retrospektive Analysen ohne spezifische Einwilligung des
Patienten seien möglich, als auch prospektive Vorhaben mit einer
einrichtungsübergreifenden Pseudonymisierung bei einem Treuhänder. Letztere
würden auch die Verfolgung eines Einrichtungswechsels ermöglichen, was aus
inhaltlichen Gründen notwendig sein kann. Die einrichtungsübergreifende
Pseudonymisierung setze allerdings in jedem Falle eine Einwilligung der
Patienten voraus.
Umfassende Neuordnung des europäischen
Datenschutzrechts
Das Rechtsgutachten zur Sekundärnutzung von Behandlungsdaten
zeigt sehr deutlich die Heterogenität des Datenschutzrechts auf, die für die
Forschungseinrichtungen insbesondere bei der Planung multizentrischer Studien
zu
enormen Aufwänden führt. Eine Vereinheitlichung wäre aus Sicht der
Forscher hier also sehr zu wünschen. Hoffnungen hatten sich in diesem
Zusammenhang auf den aktuellen Entwurf einer EU-Datenschutzgrundverordnung
(EU-DSGVO) gerichtet, mit dem eine umfassende Neuordnung des Datenschutzrechts
auf europäischer Ebene in Vorbereitung ist.

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Irene Schlünder berichtet über den aktuellen Stand der Stellungnahme zur Nutzung von Bestandsdaten aus der Patientenversorgung.
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In einer gemeinsamen Stellungnahme hatten Forscher
aus der TMF und dem KKS-Netzwerk allerdings im Juli 2014 darauf hingewiesen, dass
bei der Ausgestaltung von Regularien und Verfahrensweisen, die dem Schutz des
Bürgers dienen, ebenfalls darauf geachtet werden muss, biomedizinische
Forschung nicht unnötig be- oder gar zu verhindern. Insbesondere hatten sie
auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass die Nutzung von Bestandsdaten aus der
Patientenversorgung für die Forschung stark eingeschränkt oder sogar verhindert
werden könnte. Irene Schlünder (TMF-Geschäftsstelle), die die Stellungnahme
maßgeblich mit erarbeitet hatte, berichtete über den aktuellen Stand des
Gesetzgebungsverfahrens, mit dessen Abschluss derzeit nicht vor Ende 2015
gerechnet wird. Als nachbesserungsbedürftig wurde in der Stellungnahme
insbesondere die unklare Verweislogik zwischen den für die biomedizinische
Forschung entscheidenden Bestimmungen für Gesundheitsdaten (Artikel 9 und 81)
einerseits sowie der Forschung
mit Gesundheitsdaten (Artikel 9 und 83) andererseits kritisiert. Was die Forschung
vor allem brauche, seien eindeutige Regeln.
Nutzen und Risiken sorgfältig gegeneinander abwägen
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Die Teilnehmer der Podiums-diskussion verdeutlichten, dass die Datennutzung mit einer weiteren Verbesserung von Therapiemöglichkeiten verbunden sein kann.
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Dass mit der Nutzung der Daten aus dem
Behandlungskontext große Hoffnungen für eine weitere Verbesserung von
Therapiemöglichkeiten verbunden sind, machten die Teilnehmer der
Podiumsdiskussion am Mittag deutlich. Es sei
aber genauso wichtig, die Interessen der Betroffenen im Hinblick auf ihre
informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen und Nutzen und Risiken
sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Es besteht darüber hinaus, wie sich in der
Diskussion zeigte, großer Bedarf, die Vorgaben für die Ausgestaltung von
Einwilligungserklärungen national wie auch auf europäischer Ebene zu
harmonisieren. Dies betrifft sowohl die akademische wie auch die industrielle
Forschung: In einer großen multinationalen Studie könnten leicht bis zu 100
verschiedene Einwilligungserklärungen im Einsatz sein.
Von Gutachten und Konzepten über Werkzeuge und
Services bis zur Beratung
Abschließend stellte Dr. Johannes Drepper
(TMF-Geschäftsstelle), der den Workshop und die Podiumsdiskussion moderiert hatte,
die Unterstützungsangebote der TMF zur
datenschutzgerechten Umsetzung biomedizinischer Forschungsprojekte vor. Das Spektrum reicht von Gutachten und
generischen Konzepten über Tools und elektronische Services bis hin zu
Beratungsangeboten.
Diese Angebote können von allen Forschern in der
Regel frei genutzt werden, auch unabhängig von einer Mitgliedschaft ihres
Projektes in der TMF. Die Forscher, die über die Mitgliedschaft von
Forschungsverbünden oder -einrichtungen auch in die aktive Arbeit der TMF eingebunden
sind, können darüber hinaus ihre Anforderungen einbringen und die Lösungen
mitgestalten. Mit ihren Mitgliedsbeiträgen, die in
bestimmten Fällen auch förderfähig sind, ermöglichen die Verbünde und
Einrichtungen diese gemeinsame Arbeit. Wesentliches Merkmal gemeinsamer
Projekte ist, dass sie nicht individuelle Fragen eines einzelnen Projektes,
sondern solche Probleme lösen, die eine Reihe von Projekten betreffen und damit
eher grundsätzlicher Natur sind.
Weiterführende Informationen
- Download Einladungs- und Programmflyer [pdf | 782 kb]
- TMF-Schriftenreihe
- ergänzende Materialien zu Datenschutz-Konzepten
- Projekt cloud4health
- Stellungnahme der TMF zur EU-DSGVO [pdf | 535 kB]
- Orientierungshilfe Cloud-Computing der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
Vortragsfolien
- Dr. Martin Sedlmayr: Cloud Computing für Big-Data-Analysen in der Medizin [pdf | 2 MB]
- Dr. Astros Chatziastros, Dr. Uwe K. Schneider: Sekundärnutzung medizinischer Behandlungsdaten – Rechtliche Fragen und Antworten [pdf | 958 kB]
- Dr. Astros Chatziastros: Generisches Datenschutzkonzept zur Sekundärnutzung klinischer Daten in der Cloud [pdf | 964 kB]
- Irene Schlünder: Stellungnahme der TMF zum aktuellen Entwurf der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) [pdf | 475 kB]
- Prof. Dr. Klaus Pommerening: TMF-Leitfaden zum Datenschutz in der medizinischen Forschung [pdf | 399 kB]
- Johannes Drepper: Übersicht zu den Unterstützungsangeboten der TMF [pdf | 1 MB]