Wir können die Daten der Patienten vor unbefugten Zugriffen schützen
Die Grundlagen sind gelegt, doch die rasante Entwicklung der individualisierten Medizin zwingt uns, daraus ein nationales Konzept zu entwickeln
25.02.2015. Dieser Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Krawczak erschien heute
in der Wissenschaftsbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Im Dezember 2014 haben sich drei führende
wissenschaftliche Akademien in Deutschland zu den Rahmenbedingungen der individualisierten
Medizin geäußert. Dabei wurden neben der Datensicherheit auch Fragen der Qualitätskontrolle,
Harmonisierung und Standardisierung von Daten angesprochen. Zu Recht wiesen die
Akademien auf die großen Herausforderungen hin, denen sich die medizinische
Forschung in Deutschland an diesen Stellen gegenübersieht. Umso wichtiger ist
es, dass bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen das Rad nicht jedes Mal neu
erfunden, sondern vielmehr auf existierende Lösungen zurückgegriffen wird.
Seit über 15 Jahren
arbeiten Forscher verschiedener Disziplinen in der „Technologie- und
Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung“ (TMF) zusammen. Sie
entwickeln dort generische Lösungen für Probleme wie jene, die von den
Akademien hervorgehoben wurden, und stellen die dabei entstandenen Produkte anderen
Forschern gemeinfrei zur Verfügung. Die TMF wurde 1999 eigens für diesen Zweck vom
Bundesforschungsministerium als Querschnittsprojekt zu den Fördermaßnahmen der
Verbundforschung, etwa den Kompetenznetzen in der Medizin, initiiert. Seither nutzen
Wissenschaftler die TMF erfolgreich als Plattform, um gemeinsam den wachsenden rechtlichen,
ethischen, technischen und organisatorischen Anforderungen an ihre Forschung gerecht
zu werden. Aus der Arbeit der TMF sind eine Vielzahl von Gutachten, Leitfäden, Mustertexten
und Services hervorgegangen, die helfen, die medizinische Verbundforschung
sicherer, transparenter und weniger kompliziert zu gestalten. Hierzu zählt auch
eine Empfehlung zur Abfassung von Patienteninformationen in klinischen Studien.
Weitere Formulierungen aus TMF-Projekten wurden 2013 vom Arbeitskreis der Medizinischen
Ethikkommissionen in Deutschland in dessen Musteraufklärungstexte übernommen. Besonderes
Augenmerk hat die TMF in der Vergangenheit jedoch stets auf den Datenschutz
gerichtet.
Seit den Vorgängen um Facebook, Google und Co.
ist der Schutz persönlicher Daten endgültig ins Zentrum des öffentlichen
Interesses gerückt. Schon 2003 haben Wissenschaftler in der TMF eine Blaupause
für die Verarbeitung medizinischer Daten im Forschungskontext entwickelt und mit
den zuständigen Datenschutzbehörden abgestimmt. Gegenstand der
Überlegungen war bereits damals die langfristige, projektübergreifende Sammlung
von Daten.
Das generische Konzept, das seither
einer Vielzahl medizinischer Forschungsverbünde als Vorlage für deren eigene
Datenschutzverfahren gedient hat, ist kontinuierlich weiterentwickelt worden. Erst
im letzten Jahr hat die TMF eine Überarbeitung veröffentlicht, die von der
Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder ausdrücklich als
Grundlage projektspezifischer Datenschutzkonzepte empfohlen wird.
Das generische Datenschutzkonzept basiert
im Kern auf der Anpassung der Rahmenbedingungen eines Forschungsverbunds an dessen
spezifischen Risiken bei der langfristigen Datensammlung. Grundlegendes Prinzip
ist die möglichst weitgehende Trennung identifizierender und medizinischer Daten;
diese müssen nicht nur verschlüsselt, sondern auch physisch an unterschiedlichen
Orten aufbewahrt werden. Die jeweils verantwortlichen Stellen sind untereinander
nicht weisungsbefugt oder -gebunden. Eine Datenzusammenführung erfolgt erst
nach Aufhebung der Verschlüsselung durch einen eigens dazu befugten und rechtlich
unabhängigen Datentreuhänder. Dieses System verteilter Verantwortlichkeiten stellt
sicher, dass eine missbräuchliche Nutzung der Daten die gleichzeitige
Aushebelung von mindestens drei personell, technisch und rechtlich unabhängigen
Sicherungssystemen voraussetzt – was praktisch unmöglich ist.
Die an die individualisierte
Medizin geknüpften Erwartungen resultieren überwiegend aus den technischen Möglichkeiten
der molekularen Medizin. Umfangreiche Laboranalysen versprechen ein tiefgehendes
Verständnis von Gesundheitsrisiken sowie die zielgerichtete Vorbeugung und
Therapie. Allerdings führen die dabei eingesetzten „Omics“-Technologien
(Genomics, Proteomics und so weiter) auch zu dramatisch steigenden Anforderungen
an den Datenschutz. Auf diese neue Qualität haben die Akademien in ihrer
Stellungnahme hingewiesen.
Jedes Genom ist individuell, so dass genetische Daten schon
heute streng genommen nicht mehr anonymisierbar sind. Bislang erforderte eine
Re-Identifizierung die Analyse einer Referenzprobe, was nur mit hohem technischem
Aufwand möglich war.
Mittlerweile werden jedoch umfangreiche persönliche Daten an
verschiedensten Stellen gelagert, darunter auch in genetischen Datenbanken, die
(relativ) frei im Internet zugänglich sind. Dadurch wächst das Risiko, dass sensible
medizinische Daten einer Person auch ohne Referenzprobe wieder zugeordnet
werden können. Nach Ansicht der TMF bedeutet dies, dass Bioproben und Daten
künftig nur noch für solche wissenschaftliche Projekte zur Verfügung stehen sollten,
die durch ein geeignetes Datenschutzkonzept hinreichend geschützt sind. Allerdings
ist zu erwarten, dass für „Omics“-Daten auch die Empfehlungen der TMF
langfristig nicht mehr greifen werden. Vielmehr muss das aktuelle Datenschutzkonzept
erneut weiterentwickelt werden, wobei neben Medizininformatikern zunehmend auch
Bioinformatiker gefordert sind.
Bei der Lösung der von den
Akademien hervorgehobenen Probleme gilt es, alle Aktivitäten und Lösungsansätze
zusammenzuführen. Die Datenschutzprobleme unterstreichen zudem die Notwendigkeit unabhängiger Non-Profit-Einrichtungen, die
sich der methodischen Probleme der medizinischen Forschung annehmen, ihre
Lösung vorantreiben, und auch solche, die in der politischen Diskussion die Interessen
der Forscher bündeln und wahrnehmen. Ein solches Engagement bedarf aber hinreichender
Anreize, und hier ist die Politik gefragt, für partizipative und kooperative
Lösungsentwicklungen den notwendigen finanziellen und organisatorischen Rahmen
zu schaffen. Der Nutzen für die deutsche Forschungslandschaft liegt auf der
Hand. Es geht um Rechtssicherheit, Vermeidung von Doppelentwicklungen, Erhöhung
der Ergebnisqualität.
Michael Krawczak ist Direktor des Instituts für Medizinische
Informatik und Statistik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und
betreibt dort zusammen mit klinischen Kollegen eine der größten
Forschungsbiobanken in Deutschland. Seit 2006 gehört er dem Vorstand des TMF
e.V. an.
- Stellungnahme von Leopoldina, acatech und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Dezember 2014)
- Generische Datenschutzkonzepte 2.0 der TMF
- Stellungnahme von TMF und KKS-Netzwerk gemeinsam mit zahlreichen weiteren Wissenschaftsorgansiationen zum Entwurf des Europäischen Parlaments für eine Datenschutz-Grundverordnung