Verbundforschung benötigt einen höheren Grad an Professionalität, Management und Organisation
TMF-Jahreskongress in Hannover sorgte für Austausch und Diskussion über Disziplinen, Standorte und methodische Hintergründe hinweg
02.04.2015. Verbundforschungsvorhaben
in der Medizin benötigen einen höheren Grad an Professionalität, Management und
Organisation als dies bei Einzelprojekten der Fall ist. Die Projekte
bearbeiteten in der Regel komplexere Fragestellungen, müssten eine kritische
Größe erreichen und benötigten Kohärenz und gelungene Teambildung zwischen den
Partnern. Dies betonte Dr. Joachim Klein als Vertreter des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung in seinem Grußwort zur Eröffnung des TMF-Jahreskongresses
am 25. März 2015 in Hannover. Das Schwerpunktthema „Verbundforschung im
föderalen Deutschland“ sei deshalb für Forschungsförderer besonders spannend.
Prof. Dr. Lothar Kreienbrock von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
(TiHo) als gastgebende Einrichtung leitete den Kongress.
Die Durchführung des TMF-Jahreskongresses an einer
veterinärmedizinischen Einrichtung unterstreiche, dass die Tiermedizin Teil der
Medizin sei, so TiHo-Präsident Dr. Dr. h. c. mult. Gerhard Greif in seinem
Grußwort. Die Tiermedizin sei für alle Tierarten zuständig, einschließlich des
Menschen, zum Beispiel wenn es um Lebensmittelsicherheit gehe. In Hannover
bestünden deshalb auch zahlreiche Kooperationen zwischen der TiHo und der
Medizinischen Hochschule. Der Gedanke der TMF, Abstimmung zwischen den
Einrichtungen zu unterstützen und gemeinsam Methoden für die Zusammenarbeit zu
entwickeln, sei deshalb sehr wichtig und hilfreich.

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Dr. Joachim Klein (BMBF) |
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Prof. Dr. Lothar Kreienbrock |
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Dr. Dr. h. c. mult. Gerhard Greif |
Deutschland ist heute ein weltweit führender Standort für klinische
Forschung

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Dr. Steffen Luntz |
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Eine 2013 veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass
Deutschland heute ein weltweit führender Standort für klinische Forschung ist.
Damit zahlten sich die Infrastrukturmaßnahmen der vergangenen 10 bis 15 Jahre
aus, beispielsweise die Etablierung von Koordinierungszentren für klinische
Studien (KKS) an den Universitätskliniken. Allerdings mache die
nicht-kommerzielle Forschung bisher nur einen recht geringen Anteil daran aus.
Dies sagte Dr. Steffen Luntz, Leiter des KKS Heidelberg. Klinische Forschung
bleibe immer im Fluss mit sich ständig ändernden Rahmenbedingungen,
Forschungsfragestellungen und strukturellen Anforderungen. Gerade
Wissenschaftler aus dem klinischen Kontext sollten sich jedoch auf ihr
Fachgebiet konzentrieren und Forschung betreiben können, ohne Spezialisten für
regulatorische Anforderungen zu werden. Nicht zuletzt deshalb seien
unterstützende Infrastrukturen wie die KKS und das KKS-Netzwerk oder die TMF so
wichtig.
- Klinische Studien – Erfahrungen im Umgang mit regulatorischen Anforderungen im Umfeld des KKS(N)
Dr. Steffen Luntz [PDF | 1,86 MB]
GCP-Inspektion: Sowohl einzelne Systeme als auch deren Schnittstellen
validieren
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Dr. Christa Färber |
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Multizentrische Studien werden in Deutschland seit 2006 länderübergreifend
behördlich überwacht. Für eine Inspektion werden Studien in enger
Zusammenarbeit mit den Bundesoberbehörden risikobasiert ausgewählt,
insbesondere Studien in frühen Phasen, Studien mit in der
Einwilligungserklärung eingeschränkten Patienten, Studien mit Kindern oder
solche, die Prüfpräparate mit neuen Wirkstoffen untersuchten. Dies erklärte Dr.
Christa Färber vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hannover. Die Behördenvertreter
achteten dabei insbesondere auf Patientensicherheit und Datenintegrität. Die zu
prüfenden Strukturen würden allerdings immer komplexer, weil immer mehr
Aufgaben an externe Dienstleister ausgelagert würden, so dass ein intensiver
und meist elektronischer Austausch von Daten erfolge. Färber betonte, dass
sowohl die einzelnen Systeme und deren Schnittstellen als auch der gesamte
Datenfluss durch alle beteiligten Systeme zu validieren sei. Die Validierung
sollte in ein adäquates Risikomanagement eingebettet sein. Die Kommunikation
zwischen den Beteiligten sei dabei entscheidend.
- Wie wird eine Inspektion einer Multi-Center-Studie im Rahmen der koordinierten Überwachung durchgeführt?
Dr.
Christa Färber [PDF | 902 kB]
Hohe regulatorische Anforderungen verlangen professionellen Betrieb von
IT-Infrastrukturen am Klinikum
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Prof. Dr. Ulrich Sax |
Prof. Dr. Ulrich Sax berichtete über Erfahrungen aus einer
Inspektion der Universitätsmedizin Göttingen im vergangenen Jahr. Insbesondere
müsse man sich in der Vorbereitung die Kommunikationsbeziehungen zwischen den
Systemen ansehen. Aufgrund der Komplexität der IT-gestützten Systeme seien
Risikoabschätzung und Validierung von zentraler Bedeutung. Die hohen
regulatorischen Anforderungen verlangten einen professionellen Betrieb der
IT-Infrastruktur am Klinikum. In der Vorbereitung der Inspektion in Göttingen
wurde auch der Systemvalidierungsmasterplan der TMF als sehr hilfreich empfunden,
allerdings werde das Thema Schnittstellen darin noch zu wenig beleuchtet.
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Ronald Speer
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Die Werkzeuge zur Systemvalidierung sind in mehreren
Projekten der TMF in den Jahren 2001 bis 2003 sowie 2005 bis 2007 entwickelt
worden. Projektleiter Ronald Speer berichtete, dass neben dem
Systemvalidierungsmasterplan etwa 70 Checklisten, Musterdokumente und Vorlagen,
Konzepte für Audits sowie Schulungsunterlagen zum Thema frei und öffentlich für
eine Nutzung durch Forschungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Eine
Überarbeitung der Validierungsdokumente sei mittlerweile allerdings
erforderlich. Gemeinsam mit den Behörden sollte geprüft werden, welche
Unterlagen wirklich gebraucht werden. Es könnte sich möglicherweise ein
ähnliches Verfahren entwickeln wie es sich in der Zusammenarbeit mit den
Datenschutzbeauftragten bewährt habe. Außerdem sollten auch wieder Schulungen
zum Thema angeboten werden. Es empfehle sich, selbst ein Audit durchzuführen
und mit der Prüfung und Validierung der Systeme und Prozesse nicht zu warten,
bis sich die Behörden ankündigten.
Validierung meint, die Prozesse zu verstehen und zu
dokumentieren und auf dieser Basis eine Risikobewertung vorzunehmen. Dies wurde
in der nachfolgenden Podiumsdiskussion verdeutlicht. Dabei sei zu bedenken,
dass sich die Standards in der Krankenversorgung von denen in der klinischen
Forschung unterschieden. Ein großes Problem sei der Zeitraum von der Erhebung
bis zur Dokumentation von Studiendaten, der manchmal 21 Tage oder auch mehr
betragen könne.
- Aspekte der Validierung von Schnittstellen
Prof. Dr. Ulrich Sax [PDF | 831 kB]
- Werkzeuge der TMF zur Systemvalidierung
Ronald Speer [PDF | 198 kB]
NaKo: Modulares Einwilligungskonzept, schriftlicher Widerruf jeder
einzelnen Einwilligung jederzeit möglich

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Prof. Dr. Wolfgang
Hoffmann |
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Mit 18 Studienzentren in verschiedenen Regionen in
Deutschland, dem geplanten Einschluss von 200.000 Probanden und einer Laufzeit
von bis zu 30 Jahren oder mehr ist die Nationale Kohorte ein Vorhaben, das sehr
umfassende Konzepte und Lösungen für den datenschutzrechtlich und ethisch
sauberen Umgang mit den Daten der Studienteilnehmer benötigt. Neben einer sehr
komplexen Architektur der Datenspeicherung und -verarbeitung wurde deshalb ein
Ethik-Kodex erarbeitet und das Konzept mit 18 Ethik-Kommissionen in 13
Bundesländern abgestimmt. Dies berichtete Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann,
Universitätsmedizin Greifswald, der Mitglied des Vorstands der Nationalen
Kohorte ist. Eine modulare Einwilligungserklärung ermögliche eine
differenzierte Einwilligung der Teilnehmer in verschiedene Aspekte der
Datenerfassung. Ein schriftlicher Widerruf jeder einzelnen Einwilligung sei
jederzeit möglich, die Umsetzung werde durch die eingesetzte Treuhandstelle
übernommen, denn nur diese könne die verschlüsselten Daten einer Person
zuordnen. In Diskussion sei derzeit die Idee ein Probandenportal aufzubauen,
das es jedem Teilnehmer ermöglichen würde zu sehen, in welchen
wissenschaftlichen Projekten seine Daten verwendet würden.
- Ethische Anforderungen in der Nationalen Kohorte
Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann [ PDF |1,16 MB]
Ethik-Kommissionen: 95 Prozent positive Bewertungen nach Modifikationen
oder mit Auflagen

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Prof. Dr. Jörg Hasford |
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Mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes seien die
Ethik-Kommissionen zu Institutionen für Patientenschutz mit behördenartigem Charakter
geworden, berichtete Prof. Dr. Jörg Hasford, der Vorsitzende des Arbeitskreises
Medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland. Seither bedürften praktisch
alle Arzneimittelstudien der ‚zustimmenden Bewertung‘ der zuständigen
Ethik-Kommission. Das Selbstverständnis der Ethik-Kommissionen sei es,
Patientenschutz und Forschungsfreiheit sicherzustellen. Dabei betonte Hasford,
dass die Medizinethik eine Vielzahl von Wurzeln mit teilweise überlappenden und
übereinstimmenden, teilweise aber auch gegensätzlichen ethischen Konzepten
habe. Es gebe nicht eine Ethik. Die Mitglieder der multidisziplinär
zusammengesetzten Ethik-Kommissionen diskutierten daher die Forschungsanträge
unter Berücksichtigung der verschiedenen ethischen Grundpositionen und
rechtlichen Vorgaben, um zu einem konsensfähigen Beschluss zu kommen. Dabei
werde ein Niveau von 95 Prozent positiven Bewertungen nach Modifikationen oder
mit Auflagen erreicht und es würden weniger als drei Prozent endgültige
Ablehnungen ausgesprochen. Die vorher erwähnte Studie aus dem Jahr 2013 habe
überdies ergeben, dass die Arbeit der Ethik-Kommissionen in Deutschland im
internationalen Vergleich sehr positiv bewertet werde.

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Prof. Dr. H.D. Tröger |
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Prof. Dr. H.D. Tröger, der Vorsitzende der Ethik-Kommission
an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) berichtete, dass die Zahl der
Anträge an die Ethik-Kommissionen in den vergangenen 30 Jahren massiv
zugenommen habe: Hätte die Ethik-Kommission der MHH im Jahr 1983 noch 42
Anträge begutachtet, so sei diese Zahl im Jahr 2014 auf 162 angestiegen. Hinzu
kamen 400 weitere Anträge, die ohne Sitzung bearbeitet worden seien. Angesichts
dieser Flut sei es heute sehr schwer, Kollegen für eine Mitarbeit in der
Ethik-Kommission zu finden. Allen Forschern legte er die Lektüre der Deklaration
von Helsinki in ihrer neuesten Fassung von 2013 ans Herz.
-
Grundlagen und Regelungen der ethischen Bewertung von medizinischen Forschungsvorhaben
Prof. Dr. Jörg Hasford [ PDF | 1,12 MB]
- Ethikkommissionen an Universitätskliniken – Beispiele aus der Praxis
Prof. Dr. H.D. Tröger [PDF |301 kB]
Qualitätsmanagement in Biobanken: Viele Gemeinsamkeiten zwischen Leitlinien
und Normen
Die Sicherung der Qualität von Proben und Daten ist ein aktuell
viel diskutiertes Thema im Biobanking. Akkreditierung und Zertifizierung sind
Verfahren, die die Qualitätssicherung unterstützen und dieses Streben auch nach
außen dokumentieren. Während Akkreditierung die formelle Anerkennung der
Kompetenz einer Einrichtung unter Berücksichtigung der Struktur-, Prozess- und
Ergebnisqualität ist, wird unter Zertifizierung das Resultat einer Prüfung der
Übereinstimmung von Arbeitsabläufen gemäß einer Norm verstanden.
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PD Dr. Esther Herpel |
Wie PD Dr. Esther Herpel (Universitätsklinikum Heidelberg)
erklärte, gebe es zwar viele Standard Operating Procedures und Guidelines und
es seien auch bereits Biobanken zertifiziert oder akkreditiert, eine eigene
Norm für Forschungsbiobanken in der Humanmedizin existiere jedoch bisher nicht.
Es bestünden allerdings viele Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen
Leitlinien und Normen, diese müssten zusammengeführt und um Aspekte ergänzt
werden, die im Forschungskontext wichtig sind. Beim Aufbau der Gewebebank des
NCT Heidelberg sei sehr früh klar geworden, dass eine strukturierte
Qualitätssicherung aus verschiedenen Gründen notwendig ist. Eine externe
Begutachtung sei dann – trotz des damit verbundenen hohen Aufwands – ein
logischer Schritt gewesen. Die
Gewebebank habe ein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO/IEC 17020
etabliert und sei danach durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DakkS)
akkreditiert worden.
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PD Dr. Dr. Michael Kiehntopf
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Die Integrierte BioBank Jena (IBBJ), die Flüssigproben
lagert, ist nach DIN EN ISO 9001:2008, Reg.Nr. Z 12583 zertifiziert. Das
Prüflabor der IBBJ ist darüber hinaus nach DIN EN ISO 17025 akkreditiert. Dies
berichtete PD Dr. Dr. Michael Kiehntopf (Universitätsklinikum Jena). Die Akkreditierung
prüfe die technische Kompetenz, darüber hinaus müsse man aber auch an den
wissenschaftlichen Fragen weiterarbeiten, die dazu beitragen, die Qualität der
Proben zu bestimmen, und die Ergebnisse in die entsprechenden Normen
einarbeiten. Als ein Beispiel nannte Kiehntopf die Beschleunigung einer Probe
im Rohrpostsystem der Klinik, die manche Biomarker so verändern könnte, dass
bestimmte Analysen möglicherweise anschließend nicht mehr durchführbar seien.
Die International Organization for Standardization (ISO),
deren nationale Spiegelorganisation in Deutschland das Deutsche Institut für
Normung (DIN) ist, arbeitet derzeit an einer Normsetzung für Biobanken im
internationalen Kontext. Das

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Dr. Christina Schröder |
berichtete Dr. Christina Schröder (Fraunhofer
Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI), die den Arbeitskreis
„Biobanken“ im Rahmen des vom DIN koordinierten internationalen
Normierungsverfahrens leitet. 2014 seien dabei unter anderem die nationalen
Normungsvorschläge gesammelt und noch bestehende Lücken analysiert worden. Mit
der Finalisierung der Norm oder Normen sei etwa 2017 zu rechnen.
- Zertifizierung und Akkreditierung von Biobanken: Beispiel Gewebebanken
PD Dr. Esther Herpel [PDF | 2,06 MB]
- Normsetzung im internationalen Kontext: WG2 (Biobanks and Bioresources) des ISO/TC 276
Dr. Christina Schröder [PDF | 988 kB]
Weltweite Qualitätsdiskussion – Deutschland noch kaum beteiligt
Bereits 2005 hat der amerikanisch-griechische
Wissenschaftler John P. A. Ioannidis mit seinem Artikel „Why Most Published
Research Findings Are False“ darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der
Ergebnisse biomedizinischer Forschung nicht reproduzierbar ist. Auch Publikationsbias
– bevorzugt Studien mit positiven Ergebnissen werden veröffentlicht, nicht
signifikante oder unerwünschte Ergebnisse verschwinden eher „in der Schublade“
– ist schon seit geraumer Zeit als
Problem erkannt, insbesondere in der internationalen Diskussion. Die
Registrierung von Studien, die dem entgegenwirken sollte, funktioniert nicht so
wie erhofft. Ältere Studien verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis und
fließen damit nicht mehr in die Bewertung der verfügbaren Evidenz ein, wenn
beispielsweise ein neues Forschungsprojekt geplant wird. Die Tendenz zu Open
Access Zeitschriften wirft wiederum neue Fragen der Qualität wissenschaftlicher
Artikel auf.

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Prof. Dr. Gerd Antes
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Diese Punkte zählte Prof. Dr. Gerd Antes (Cochrane-Zentrum
Freiburg) in seiner Evening Lecture auf. Hinzu käme aktuell ein Fokus auf Hightech-Forschung,
während beispielsweise Reorganisationsprozesse als Thema für Innovation
vernachlässigt würden. Mit „Big Data“ sei eine Ära der Korrelationen an die
Stelle der Suche nach Kausalbegründungen getreten. „Schuld“ seien letztlich
alle am Forschungsprozess Beteiligten – von den einzelnen Forschern über die
wissenschaftlichen Einrichtungen und ihre Ethik-Kommissionen sowie die Verlage
bis hin zu Förderern und Gesetzgebern. Den größten Hebel, eine positive
Änderung zu bewirken, hätten vermutlich die Ethik-Kommissionen und die
Förderorganisationen.
In seiner
Artikelserie „Increasing value, reducing waste“ hat der Lancet Anfang 2014 das
Thema prominent in die Diskussion gebracht, allerdings fehle, so Antes, bislang
in Deutschland eine ernsthafte und konstruktive Auseinandersetzung mit dem
Problem. So sei er bei der Vorstellung der Lancet-Serie im Januar 2014 der
einzige deutsche Vertreter gewesen. Gerade die Forschercommunity, die unter dem
Dach der TMF zusammenkomme, sei prädestiniert dafür, sich gemeinsam insbesondere
der angesprochenen methodischen Fragen anzunehmen und die Verbesserung von
Qualität und Transparenz der biomedizinischen Forschung auch in Deutschland
voranzutreiben. Er wies in diesem Zusammenhang auch auf die REWARD/EQUATORConference hin, die am 28.-30. September 2015 in Edinburgh stattfinden wird und
in der die Lancet-Initiative weitergetrieben werden soll. Eine breitere
deutsche Beteiligung an den weltweiten Diskussionen sei dringend notwendig.
- Alternativlos für erfolgreiche Forschung: Vernetzung, Transparenz und methodische Qualität
Prof. Dr. Gerd Antes [PDF | 4,84]
- Flyer zur REWARD/EQUATOR Conference 2015 [PDF]
One Health-Gedanke in der Infektionsmedizin: Menschen, Tiere und
Umweltfaktoren im Blick behalten
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Prof. Dr. Lothar Wieler |
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Die Umsetzung des One Health-Gedankens erfordert nicht nur
interdisziplinäre, sondern transsektorale Lösungsansätze – Tiere, Menschen und
Umweltfaktoren müssen einbezogen werden, beispielsweise im Kampf gegen
multiresistente Bakterien. Das sagte Prof. Dr. Lothar Wieler, Präsident des
Robert Koch-Instituts, in seiner Keynote zu Beginn des zweiten Kongresstages.
Aufgrund wachsender Weltbevölkerung leben mehr Menschen in immer engerem
Kontakt mit Wild- und domestizierten Tieren, Veränderungen im Klima und in der
Landnutzung führen zur Zerstörung von Habitaten für Tiere und mit der
Globalisierung gehen zunehmend internationale Reisen und internationaler Handel
einher. Infektionskrankheiten haben aufgrund dieser Faktoren immer mehr
Chancen, sich rasch und global auszubreiten. Auch eine Übertragung von
multiresistenten Erregern vom Menschen auf Haustiere, die dann wieder zur
Gefahr für Menschen würden, spiele eine zunehmend wichtige Rolle. Als
Umweltfaktor müsse man auch Oberflächenwasser im Blick behalten. So sei zum
Beispiel gezeigt worden, dass der Ganges in Indien stark belastet sei und zur
Verbreitung resistenter Erreger beitrage. Als modellhaft für einen
transsektoralen Lösungsansatz nannte Wieler das Projekt InfectControl 2020, das
neben Human- und Veterinärmedizin auch Expertisen für Mobilität und Klima sowie
Sozialwissenschaftler und Kommunikationsexperten einbinde.
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Victor Cormann |
Das Mers-Coronavirus ist bereits seit 30 Jahren in
Kamelpopulationen prävalent, vermutlich sogar noch länger. Das erklärte Victor
Cormann (Universität Bonn), der an der Identifizierung des Virus in Saudi
Arabien 2013 beteiligt war. Der Nachweis konnte anhand von seit 30 Jahren
eingelagerten Proben geführt werden. Hohe Seroprävalenzen konnten auch in
Kamelen aus Afrika nachgewiesen werden. Von dort werden große Herden junger
Kamele auf die arabische Halbinsel verschifft, wo sie als Haustier gehalten
werden. Bei einem großen Mers-Ausbruch in Jeddah Anfang 2014 konnte eine
Übertragung von Kamelen ausgeschlossen werden. Auch eine erhöhte Inzidenz
aufgrund besserer Surveillance, durch Laborartefakte oder aufgrund eines
mutierten Virus konnte nicht nachgewiesen werden. Es handelte sich letztendlich
um einen Krankenhausausbruch. Gute Hygiene in Krankenhäusern und beim Umgang
mit Kamelen sei entscheidend, um Mers-Infektionen vorzubeugen. Der klinische
Nutzen von Behandlungsoptionen sei vorläufig noch unklar. Für eine mögliche
Impfung stelle sich die Frage, ob besser die Kamele oder die Menschen – alle
oder nur Risikogruppen? – geimpft werden sollten. Bei Reiserückkehrern sollte
auf jeden Fall auch an eine Infektion mit dem Mers-Coronavirus gedacht werden.
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Prof. Dr. Wolfgang
Baumgärtner
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Eine Brücke zwischen den Neurowissenschaften und der
Infektionsforschung schlägt das „Niedersachsen-Research Network on
Neuroinfectiology“ (N-Rennt), das vom Hausherrn der Veranstaltung, Prof. Dr. Wolfgang
Baumgärtner (Institut für Pathologie der TiHo) vorgestellt wurde. Bei
verschiedenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems – beispielsweise
Alzheimer, Multiple Sklerose, Epilepsie, Parkinson und Schizophrenie – bestehen
Vermutungen über infektiologische Ursachen. Dabei spielen wahrscheinlich auch
zoonotische Erreger eine Rolle. Das Projekt nutzt deshalb die Einrichtungen der
Veterinär- und Humanmedizin und die Stärke des Standorts
Hannover-Braunschweig-Göttingen sowohl in den Neurowissenschaften als auch in
der Infektionsforschung, um die beiden Wissenschaftsbereiche zusammenzubringen.
- Entdeckung des MERS-Virus
Victor
Cormann [PDF | 3,79 MB]
Zoonosen-Surveillance: Datenintegration noch nicht erstrebenswert,
interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken
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Anna Wendt
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Um durch zoonotische Erreger verursachte Erkrankungsfälle
bei Menschen und Tieren besser verstehen und die Prävention verbessern zu
können, wäre es wünschenswert, in den Systemen der Human- und der
Veterinärmedizin jeweils schon vorhandene Daten gemeinsam auszuwerten und für
eine „One Health Surveillance“ nutzen zu können. Anna Wendt, Epidemiologin an
der TiHo, stellte die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie im Rahmen eines
TMF-geförderten Projektes vor.
Dabei hätte sich als limitierender Faktor ein
unterschiedlich guter und stark situationsabhängiger Austausch auf lokaler
Ebene gezeigt; die in den jeweils anderen Bereichen vorhandenen Datensammlungen
sind teilweise wenig bekannt; es werden unterschiedliche Begrifflichkeiten und
Einheiten verwendet. Andererseits böten die Meldedatenbanken und Daten aus den
Nationalen Referenzzentren und Laboratorien sowie nicht zuletzt das große
Interesse der Beteiligten aber Möglichkeiten, auf denen aufgesetzt werden
könnte. Eine Vernetzung vorhandener Routinedatenquellen mit einer
Datenintegration erscheine derzeit nicht erstrebenswert. Der Fokus sollte
vielmehr auf der interdisziplinären Zusammenarbeit liegen, für die ein
regelmäßiger Austausch, gemeinsame Ziele und Begrifflichkeiten sowie Vertrauen
eine wesentliche Grundlage bilden. Vorhandene Strukturen, wie die bereits
bestehenden Kooperationen der Institutionen, die Zoonosen-Forschungsverbünde,
die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen und die TMF, sollten hierfür
genutzt werden.
- Möglichkeiten und Grenzen der Vernetzung von Sekundärdaten zur Zoonoseüberwachung
Anna Wendt [PDF | 494 kB]
tranSMART und eTRIKS: Plattformen für die Zusammenführung von Daten
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Ioannis Pandis |
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In einem translationalen Forschungsvorhaben müssen Daten aus
ganz verschiedenen Systemen der Versorgung und der Forschung zusammengeführt
und analysiert werden: aus elektronischen Patientenakten, aus bildgebenden Systemen,
aus Biobanken sowie aus Experimenten. Ioannis Pandis vom Imperial College
London betonte, dass die Herausforderungen dabei nicht hauptsächlich in der
eigentlichen Analyse liegen, sondern vor allem in Faktoren wie der schieren
Zahl genomischer und klinischer Daten, ihre fragmentierte Verfügbarkeit oder
Schwächen im Bereich von Standards und Interoperabilität. Die Plattform
tranSMART, eine Weiterentwicklung aus dem Open Source-System i2b2, sei deshalb
aufgebaut worden, um klinische, biologische und „Omics“-Daten an einem Ort zusammenführen
zu können. Auf tranSMART wiederum baut die offene Plattform eTRIKS auf, die im
Rahmen der Innovative Medicines Initiative gefördert wird. Die Plattform bietet
eine Cloud-basierte Infrastruktur, die explorative Analysen zur
Hypothesengenerierung ermöglicht. Eine Zusammenarbeit mit der Gruppe, die im
Rahmen von TMF-Projekten Werkzeuge für die Datenintegration im i2b2-System
(IDRT-Projekte) erarbeitet, wurde vereinbart.
- Die Open Source-Plattform tranSMART und das IMI-Projekt eTRIKS
Ioannis Pandis [PDF | 16,4 MB]
IT-Systeme: Forschung und Versorgung sollten in einer gemeinsamen
Architektur abgebildet werden
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Prof. Dr. Björn Bergh
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Die IT-Abteilungen in Universitätskliniken sehen sich mit
Anforderungen aus ganz unterschiedlichen Forschungsprojekten und -verbünden
konfrontiert. Auch sie stehen vor der Aufgabe, Daten aus den klinischen
Informationssystemen, Registern, Medizingeräten, Biomaterialbanken,
Gensequenzierungen oder aus externen Quellen zusammenzuführen. Häufig seien
allerdings für diese Aufgaben in den Projekten keine Ressourcen vorgesehen und
die Abteilungen seien in die Entwicklung der Konzepte nicht eingebunden, obwohl
sie sie anschließend betreiben sollen. Das erklärte Prof. Dr. Björn Bergh (Universitätsklinikum
Heidelberg) und betonte, dass es für die Klinik-IT wichtig sei, Versorgung und
Forschung in einer IT-Architektur abzubilden. Dabei sollten internationale
Interoperabilitäts-Standards genutzt werden wie beispielsweise IHE, das sich
als Leitstandard für Versorgung und Forschung etabliert habe. Als mögliche
Gefahr bezeichnete Bergh, dass aktuelle nationale Initiativen wie das eHealth
Gesetz und die Nationale Initiative Medizininformatik zwischen den beteiligten
Ministerien zu wenig abgestimmt würden.
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Prof. Dr. Wolfgang
Hoffmann |
Datennutzungs- und Zugangsregelungen in den Deutschen
Zentren der Gesundheitsforschung oder anderen großen Verbundforschungsprojekten
sollten geklärt werden, bevor Daten vorhanden sind. Darauf wies Prof. Dr.
Wolfgang Hoffmann (Universitätsmedizin Greifswald) hin. Auch so sei eine
Einigung über das Vorgehen schon schwierig genug. Der insbesondere von
wissenschaftlichen Journals aktuell geforderten Transparenz könne man nicht
dadurch entsprechen, dass man die Rohdaten frei ins Internet stelle. Stattdessen
sollten die Daten bei einer Transferstelle hinterlegt werden, wo sie mit
geregelten Verfahren für wissenschaftliche Überprüfungen und weitergehende
Analysen weitergegeben werden könnten. Das Beispiel der Transferstelle des
Forschungsverbundes Community Medicine in Greifswald zeige, dass das sehr gut
funktionieren könne. So seien von 1997 bis 2014 insgesamt 1396 Anträge auf
Nutzung von Daten und Bioproben bearbeitet worden. Daten aus der SHIP-Studie
würden nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland für
wissenschaftliche Analysen genutzt.
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Martin Lablans |
Für den Datenaustausch innerhalb eines großen
Forschungsverbundes ist im Deutschen Zentrum für Translationale Krebsforschung
(DKTK) ein so genanntes „Brückenkopfmodell“ entwickelt worden. Dabei stehen,
wie Martin Lablans (Universität Mainz) darstellte, die Brückenköpfe jeweils in
den dezentralen Einrichtungen. Sie ermöglichen den DKTK-Forschern, ihre
Suchkriterien zentral einzugeben und damit eine dezentrale Suche anzustoßen.
Sollten passende Datensätze gefunden werden, so erhält die datenhaltende
Einrichtung eine Nachricht und kann sich dann mit einem Kooperationsangebot an den
potentiellen Datennutzer wenden. Sofern die Patienten einwilligen, kann ein
Minimaldatensatz auch für eine zentrale Suchfunktion bereitgestellt werden.
- Bericht zur Integration verschiedener Gesundheits-Forschungszentren an einem Universitätsstandort
Prof. Dr. med. Björn Bergh [PDF | 2,99 MB]
- Use-and-Access-Policies in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung
Pof. Dr. Wolfgang Hoffmann [PDF | 850 kB]
- Datenaustausch in den DZG: Das Brückenkopfmodell des DKTK
Martin Lablans [PDF | 2,35 MB]
Weiterführende Informationen
- Download Programmflyer Jahreskongress [pdf| 173 kb]
- Download aktualisiertes Programm samt Lageplänen [pdf | 893 kb]
- Seite des TMF-Jahreskongresses 2015
- Pressemitteilung vom 25.03.2015 "Wir können dies alles sehr gut nutzen" zum TMF-Jahreskongress 2015
- Infektionsforschung: Plädoyer für One-Health-Ansatz - Bericht zum Kongress im Deutschen Ärzteblatt vom 17.04.2015
Exkursionen
Am Morgen vor dem offiziellen Start des Kongresses nutzten zahlreiche Teilnehmer die Möglichkeit, das Clinical Research Center (CRC) Hannover zu besichtigen; eine Einrichtung, die von der Medizinischen Hochschule Hannover, vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und vom Fraunhofer ITEM gemeinsam betreiben wird. Das Gebäude beherbergt unter andrem eine Betten-Station, auf der Probanden in Phase I und IIa-Studien überwacht werden können, die Hannover Unified Biobank sowie ein Untersuchungszentrum der Nationalen Kohorte. Das CRC wurde 2014 eröffnet.
Der Nachmittag des ersten Kongresstages war einem Besuch des Lehr- und Forschungsgutes Ruthe gewidmet. Neben der praktischen Ausbildung angehender Tierärzte können werden hier insbesondere auch kontrollierte Studien zur landwirtschaftlichen Tierhaltung durchgeführt.
Am zweiten Kongresstag bestand die Möglichkeit, das Research Center for Emerging Infections and Zoonoses zu besichtigen. Das aus Mitteln des Landes Niedersachsen gebaute Forschungszentrum bietet Forschergruppen für die Dauer ihres wissenschaftlichen Projektes Laborflächen und -ausstattung sowie Großtierställe des Sicherheitslevels 2 und 3. Ziel ist es multidisziplinäre Forschung im Sinne des "One Health-Ansatzes" zu fördern.
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