Sekundärdaten sind vorhanden, Verknüpfung ist schwierig
120 Forscher diskutierten beim TMF-Forum Versorgungsforschung über die Nutzung von Datenbeständen für Forschung und Qualitätssicherung
3. Juli 2015. Es gibt
in Deutschland eine Reihe von Datenbeständen, die für die Versorgungsforschung
genutzt werden können. Diese Nutzung basiert auf jeweils spezifischen
Rechtsgrundlagen: Beispielsweise regelt die Datentransparenzverordnung (DaTraV)
das Informationssystem Versorgungsdaten beim DIMDI oder das Krebsfrüherkennungs-
und registergesetz (KFRG). Eine Verknüpfung dieser Daten, die wissenschaftlich
wertvoll wäre, ist allerdings schwierig, oftmals selbst dann, wenn der Patient
oder Proband in die Nutzung von Daten aus verschiedenen Quellen einwilligt.
Dies war das Fazit aus dem TMF-Forum Versorgungsforschung, bei dem am 30. Juni
2015 in Berlin 120 Forscher teilnahmen.
Aufgabe des TMF-Forums Versorgungsforschung ist es zu
prüfen, welche Datenkörper für die Versorgungsforschung zur Verfügung stehen
oder stehen können, welche Daten sie enthalten und für welche Fragestellungen diese
geeignet sind. Außerdem geht es um Fragen des Datenzugangs, technologische
Anforderungen und datenschutzrechtliche Aspekte. Das erläuterte Sebastian C.
Semler (TMF), der die Veranstaltung eröffnete. 2014 lag der Fokus der
Forumsveranstaltung auf den DaTraV-Daten. Resultat sei unter anderem gewesen,
dass ein gemeinsamer Arbeitskreis von DIMDI, AGENS und TMF gegründet wurde, der
den Aufbauprozess des Informationssystems Versorgungsdaten beratend begleitet.
Die aktuelle Veranstaltung solle den Blick nun auch auf andere Datenkörper
erweitern.
DaTraV-Daten: Iteratives Vorgehen notwendig
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Dr. Jochen Dreß vom
Deutschen Institut für
Dokumentation
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Voll auswertbar sind derzeit im Informationssystem
Versorgungsdaten des DIMDI die Daten aus den Jahren 2009 bis 2011. Für 2009 und
2010 sind seit Kurzem auch die Gemeindeschlüssel enthalten. Dies berichtete Dr.
Jochen Dreß vom Deutschen Institut für Dokumentation und Information (DIMDI).
Es habe sich gezeigt, dass von der Antragstellung durch Forscher aus
antragsberechtigten Institutionen bis zur Lieferung einer optimalen Datenmenge
durch das DIMDI ein iteratives Vorgehen notwendig ist. Dies sei allerdings eigentlich
in den Verwaltungsverfahren nicht vorgesehen. Das DIMDI habe deshalb ein
Rechtsgutachten und ein Folgegutachten eingeholt, die ergeben hätten, dass die
Bereitstellung vorläufiger Ergebnismengen möglich erscheine. Dies würde eine
Modifizierung der Methoden und Anpassung des Studienprotokolls erlauben,
alternativ bliebe nur die Möglichkeit, einmalig formal „Widerspruch“ gegen die
Ergebnismenge einzulegen und dann gemeinsam zu prüfen, ob und wie eine bessere
Datenmenge erreicht werden kann. Das Votum des BMG zu dieser neuen Lösung
stünde allerdings noch aus.
Ende 2015 wird das DIMDI einen Evaluationsbericht zum
Informationssystem Versorgungsdaten an das BMG übermitteln. In diesen Bericht
werden auch die Erfahrungen der Nutzungsberechtigten einfließen. Das DIMDI
führt deshalb eine Umfrage unter den Nutzungsberechtigten durch, die sich dafür
vorab registrieren müssen.
TMF-Arbeitskreis Versorgungsdaten begleitet in Kooperation mit dem DIMDI
die Ausgestaltung des Verfahrens
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Eine Kooperation der TMF
und des DIMDI: Der
Arbeitskreis Versorgungs-
daten
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Hauptanliegen des Arbeitskreises
Versorgungsdaten, der von der TMF in Kooperation mit dem DIMDI betrieben
wird, ist es die Nutzungsmöglichkeiten der Daten aus dem Informationssystem
Versorgungsforschung für wissenschaftliche Zwecke zu verbessern und die
Prozesse zu vereinfachen. Dazu gehören beispielsweise die Optimierung der
Iterationen zwischen dem DIMDI und den Wissenschaftlern oder die Erweiterung
des Datenkörpers, wie Dr. Holger Gothe (UMIT, Vertreter der AGENS) darstellte.
Es gehe auch um eine methodische Begleitung des DIMDI. Der Arbeitskreis hat
sich in seinen Sitzungen 2014 und 2015 unter anderem mit dem Antragsverfahren,
mit den Testantrag-Projekten, mit der Datencharakterisierung und mit der
Vorbereitung der Umfrage unter den Nutzungsberechtigten befasst. Der
Arbeitskreis habe so die Implementierung und Modifikation des DaTraV-Verfahrens
im Dialog mit dem DIMDI bereits maßgeblich mitgestaltet, so Gothe.
Krankenkassenbias: Erweiterung des
DIMDI-Datensatzes beste Lösung
Die PMV forschungsgruppe an der Universität zu Köln hat für
das DIMDI ein Datengutachten erstellt mit dem Ziel, eine generelle
Bestandsaufnahme zurzeit in Deutschland vorhandener gesundheitsbezogener
Datenbestände vorzunehmen. Das Gutachten wurde im Dezember 2014 veröffentlicht.
Nach wie vor spielen hier die versichertenbezogenen GKV-Daten eine große Rolle.
Diese liegen bei unterschiedlichen Stellen und können beim DIMDI, beim GBA und
beim Zentralinstitut der Kassenärztlichen Vereinigungen genutzt werden.
Ein Problem sei allerdings der so genannte
„Krankenkassenbias“ aufgrund von strukturellen Unterschieden zwischen den
Versicherten der verschiedenen Krankenkassen. So liege beispielsweise die
Diabetes-Prävalenz bei den AOK-Versicherten deutlich über den Werten aller
anderen GKVen. Eine Möglichkeit wäre, die Daten der Versicherten zu poolen,
allerdings scheitere dies – abgesehen von den technischen und logistischen
Herausforderungen – oft an der Bereitschaft der Krankenkassen. Die beste Lösung
seien deshalb die DaTraV-Daten beim DIMDI, die unbedingt erweitert werden
sollten. Aktuell könne der DIMDI-Datensatz aber auch schon helfen, die Daten
einzelner Krankenkassen hinsichtlich der Prävalenzschätzungen zu überprüfen.
Nutzung von Sekundärdaten erfordert guten Umgang
mit den Datengebern
Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche
Versorgung in Deutschland (ZI) stellt mit seiner Plattform www.versorgungsatlas.de Daten für die
regionalisierte Versorgungsforschung bereit. Datengrundlage des ZI sind die
Abrechnungsdaten aus ambulanter Versorgung und zu Arzneimitteln. Die Kernfrage
der Arbeit des ZI sei, was in der Versorgung wirklich passiere und was beim
Patienten ankomme, so Dr. Dominik Graf von Stillfried (ZI). Bestehende
Unterschiede könnten aufzeigen, was mit den aktuellen Regelungen machbar ist und
damit Verbesserungen auch in anderen Regionen stimulieren.
Das ZI verfolge eine „no surprise“-Politik, bei der
die KVen frühzeitig vor Publikation neuer Daten informiert würden, um sich
vorbereiten zu können. Allerdings sei bei Veröffentlichung des Masernberichts
versäumt worden, die Gesundheitsämter rechtzeitig einzubeziehen, was
verständlicherweise zu abwehrenden Reaktionen geführt habe. Stillfried betonte
deshalb besonders, dass die Nutzung von Sekundärdaten den richtigen Umgang mit
den Datengebern erfordert. Der Versorgungsatlas sei auch offen für Analysen
anderer Institutionen, allerdings werde dieses Angebot bisher noch zu wenig
genutzt.
Krebsregistrierung: Datenaustausch zwischen
Registern ist schwierig
Mit dem Nationalen Krebsplan ist eine flächendeckende
klinische Krebsregistrierung zur Erfassung der Versorgungsqualität und die
Vernetzung der klinischen und epidemiologischen Krebsregister vorgegeben und im
Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz 2013 festgeschrieben worden. Ziel der
Einrichtung flächendeckender klinischer Krebsregister in den Ländern sei die
sektorübergreifende Darstellung, Bewertung und Verbesserung der Qualität der
onkologischen Behandlung in allen Behandlungsphasen. Das erklärte Dr. Stefan
Hentschel (Hamburgisches Krebsregister). Geplant seien jährliche landesbezogene
Auswertungen, bundesweite Auswertungen, die vom GBA veranlasst würden, sowie
möglicherweise ein bundesweiter 5-Jahresbericht durch den GKV-Spitzenverband.
Notwendig hierfür sei allerdings der Datenaustausch zwischen den Registern, an
dem die Krebsregistrierung auch noch scheitern könne. Der Aspekt Forschung sei
erst nachträglich ins Gesetz eingefügt worden, eine Finanzierung hierfür fehle.
Die epidemiologische Krebsregistrierung erfolgt in
Deutschland seit 2012 flächendeckend, vorher sei die Situation in den
verschiedenen Bundesländern sehr heterogen gewesen, berichtete Dr. Klaus
Kraywinkel (Robert Koch-Institut). Aggregierte Daten stünden über www.krebsdaten.de zur Verfügung und könnten
beispielsweise auch für eine Prävalenzabschätzung der GKV-Daten genutzt werden.
Einzeldaten können auf Antrag zur Verfügung gestellt werden, ein Angebot das,
so Kraywinkel, noch zu wenig genutzt würde.
Nationale Kohorte setzt auf Einwilligungserklärungen
Die Nationale Kohorte (NaKo), die umfangreich Primärdaten
von ihren Probanden erhebt, prüft auch die Möglichkeiten einer Veknüpfung
dieser Daten mit Sekundär- und Registerdaten. Viele wesentliche Informationen
zu den Probanden seien bereits vorhanden, erläuterte Dr. Svenja Jacobs (BIPS,
Kompetenznetz Sekundär- und Registerdaten der NaKo), diese zu nutzen würde
helfen, die Probanden zeitlich nicht noch stärker zu belasten. Außerdem seien
diese Daten frei von Erinnerungs-Bias, und sie würden auch eine Nachverfolgung
bei Erkrankung des Probanden ermöglichen, der dann möglicherweise nicht mehr
ins Studienzentrum kommen könne. Die NaKo arbeite mit Einwilligungen der
Probanden in die Nutzung der Sekundär- und Registerdaten, dennoch sei die Verknüpfung
rechtlich schwierig zu realisieren.
Datenschutz: Vielzahl von Regelungen für die Sekundärdatennutzung
Dr. Uwe K. Schneider (Vogel & Partner
Rechsanwälte) stellte abschließend das von der TMF in Auftrag gegebene
Rechtsgutachten zur Sekundärdatennutzung vor. Es beschreibt die Datenschutzlage
in Bund und Ländern für Arztpraxen und Kliniken für den Bereich individueller
Forschung und Qualitätssicherung. Das Gutachten gibt detaillierte Informationen
zu den gesetzlichen Erlaubnissen der Sekundärdatennutzung in den Bundesländern
differenziert nach Zweck der Datennutzung und Rechtsform der Einrichtung – alle
diese Faktoren bestimmen, welcher gesetzliche Rahmen jeweils zur Anwendung
kommt.
Schneider resümierte, dass die Sekundärnutzung nach
geltendem Recht grundsätzlich rechtskonform ausgestaltet werden könne.
Allerdings sei eine Vielzahl von Regelungen und Restriktionen zu beachten.
Besondere Herausforderungen ergäben sich für Verbundforschung über
Bundeslandgrenzen hinweg. Unklar sei derzeit noch, inwieweit auch Restriktionen
durch die Europäische Datenschutz-Grundverordnung zu erwarten sind. Eine
freiwillige Harmonisierung der unter den Bundesländern sei zu empfehlen. Das
Rechstgutachten Sekundärdatennutzung wird in Kürze in der TMF-Schriftenreihe
veröffentlicht.
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Die Referenten des Forums Versorgungsforschung: (v.l.n.r.) Dr. Uwe K. Schneider (Vogel & Partner Rechtsanwälte mbB); Dr. Jochen Dreß (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information); Dr. Klaus Kraywinkel (Robert Koch-Institut); Dr. Dominik Graf von Stillfried (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland); Dr. Svenja Jacobs (Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH); Peter Ihle (PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln); Sebastian C. Semler (TMF e.V.); Dr. Holger Gothe (UMIT - University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology); Dr. Stefan Hentschel (Hamburgisches Krebsregister, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz)
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Programm
- Download Programmflyer [pdf | 450 KB]
Download der Vortragsfolien
- 01 Semler: Begrüßung und Einführung [pdf | 723 kB]
- 02 Dreß: Aktuelles zum Informationssystem Versorgungsdaten [pdf | 756 kB]
- 03 Gothe: Bericht aus dem AK Versorgungsdaten [pdf | 284 kB]
- 04 Ihle: Landkarte der Datenkörper - Gutachten zu Daten für die Versorgungsforschung [pdf | 1,4 MB]
- 05 von Stillfried: Versorgungsatlas des ZI [pdf | 7,7 MB]
- 06 Hentschel: Krebsregister in den Ländern [pdf | 720 kB]
- 07 Kraywinkel: Zusammenführung der Krebsregisterdaten [pdf | 907 kB]
- 08 Jacobs: Verknüpfung von Primär- und Sekundärdaten in der Nationalen Kohorte
[pdf | 1,12 MB]
- 09 Schneider: Rechtsgutachten zur Sekundärdatennutzung [pdf | 1,2 MB]