Umstrittene Forschung an hochpathogenen Erregern: Wissenschaftler beraten Möglichkeiten der Regulierung
Virologen, Ethiker und Förderer diskutieren die Folgen der Dual Use-Debatte für die Forschung
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22.09.2015.
„Dual Use Research of Concern“ (DURC) bezeichnet Forschungsvorhaben, deren
Ergebnisse eigentlich dem Nutzen der Gesellschaft dienen sollen, aber potentiell
für bioterroristische Zwecke missbraucht werden können. Eine Debatte über derartige
Forschungsprojekte beschäftigt die Wissenschaft seit 2012. Über den aktuellen
Stand dieser Debatte und die Möglichkeiten einer Regulierung potentiell
gefährdender Forschung informierte ein Workshop der Nationalen
Forschungsplattform für Zoonosen am 15. September 2015 in Berlin. Aus den
Diskussionen der Teilnehmer kristallisierte sich heraus: „Zusätzliche
Regulierung ist sinnvoll, jedoch keine gesetzliche.“
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Dr. Linda Brunotte,
Veranstalterin des Work-
shops, begrüßte die Teil-
nehmer und moderierte
die
Diskussionen.
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Vor der Möglichkeit der Einführung eines
„Forschungsgesetzes“ oder einer „Forschung unter Genehmigungsvorbehalt“ warnten
die Teilnehmer aus Wissenschaft, deutscher Förderlandschaft und
Ethikkommissionen während des Workshops „Dual Use of Concern – Wie gut sind wir vorbereitet auf die Konsequenzen
der aktuellen Debatte?“. Vielmehr sei es Aufgabe der Wissenschaftler, bindende
Regelungen für die Forschung zu finden, um missbräuchliche Anwendung von
Forschungsergebnissen zu vermeiden. Eine nationale Regelung erwarten auch die
Förderer, da sie die Verantwortung für die Forschungsergebnisse, die mit ihrer
Förderung entstehen, nicht übernehmen können. Die Workshop-Teilnehmer
favorisierten, bestehende Strukturen mit der Aufgabe der Risikobewertung der
wenigen kritischen Forschungsvorhaben zu betrauen, ohne hierfür Gesetze neu entwerfen
oder umformulieren zu müssen.
Auch Forschungseinrichtungen müssen ihre
Verantwortung wahrnehmen
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Prof. Dr. Stephan Becker
(Universität Marburg) |
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Prof. Dr. Stephan Becker von der Universität
Marburg plädierte dafür, dass nicht nur Forscher, sondern auch
Forschungseinrichtungen ihre Verantwortung wahrnehmen müssten. Gemeinsam
sollten sie Risiken und Nutzen potentiell gefährlicher Forschungsprojekte aus
sämtlichen Wissenschaftsbereichen gegeneinander abwägen. Er stellte eine
Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wissenschafts-Akademie
Leopoldina vor, deutschlandweit an Hochschulen „Kommissionen für Ethik
sicherheitsrelevanter Forschung“ (KEF) zu installieren bzw. bereits bestehende
Kommissionen um den Aspekt sicherheitsrelevanter Forschung zu erweitern.
Gleichzeitig müssten Aspekte wie das
Gefährdungspotential von Forschung und die Eigenverantwortung des
Wissenschaftlers Einzug in die Lehrpläne der deutschen Universitäten halten. Aus
der hochschulinternen Kommission „für Forschung und Verantwortung“ der Universität
Marburg beschrieb Becker Beispiele, wonach das Thema Dual Use keineswegs nur
ein virologisches sei, sondern viele Forschungsfelder berühre. Daraus folgernd
lehne er eine Einzellösung nur für die Reglementierung virologischer Forschung
ab.
Die Maßnahmen der wissenschaftlichen Gemeinschaft
zur Selbstregulierung der Risiko-Forschung würden durchaus auch von Seiten der
Politik wahrgenommen, betonte Dr. Stephan Roesler vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF). Damit machte er deutlich, dass die
wissenschaftliche Gemeinschaft durchaus große Gestaltungsmöglichkeiten in
dieser Debatte und bei der Etablierung neuer Regelungen hat und eine
gesetzliche Regelung nicht unbedingt die letzte Konsequenz sein muss.
Die Logik der Pathogene erfordert eine
internationale Regelung
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Prof. Dr. Thomas C. Metten-
leiter (Friedrich-
Loeffler-Institut)
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Vom Versuch, eine internationale Harmonisierung
herbeizuführen, berichtete Prof. Dr. Thomas C. Mettenleiter. „Bisher wird noch sehr
national argumentiert“, stellte der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts
fest, „die Logik potentiell pandemischer Pathogene erfordert jedoch eine
internationale Regelung, schließlich breiten sich die Erreger auch potentiell
über Staatsgrenzen hinweg aus.“ Weltweit herrschen in den Ländern, in denen
Forschung auf diesen Gebieten betrieben wird, sehr unterschiedliche Standards
und Regelungen.
Mettenleiter skizzierte die Möglichkeit, z. B. mit Hilfe des
EASAC (European Academies Science Advisory Council) eine Harmonisierung aus der
Wissenschaft heraus auf europäischer Ebene herbeizuführen. Allerdings schlägt
er eine Regelung für das klar umgrenzte Gebiet der Forschung mit hochpathogenen
Viren vor. Eine Ausweitung auf andere Wissenschaftsbereiche würde zu Unschärfen
und damit im Zweifel zu großen Einschränkungen führen.
So zeichneten sich zum Ende des Workshops zwei
Lösungsansätze ab: eine eng umgrenzte, internationale Regelung zu
DURC-Forschung sowie die Gründung von Kommissionen an Forschungsinstituten, die
thematisch breiter aufgestellt sind und von einer nationalen Anlaufstelle
angeleitet werden könnten.
Es bedarf einer klaren begrifflichen Grundlage
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Dr. Jens Bohne
(Medizinische Hochschule
Hannover) |

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„Ziel der Diskussion um die Dual Use-Forschung muss
zunächst sein, klare Abgrenzungen zu schaffen und genau zu differenzieren“,
sagte Referent Dr. Jens Bohne von der Medizinischen Hochschule Hannover. In den
Redebeiträgen und den Wortmeldungen der Workshop-Teilnehmer stellte sich schnell
heraus, dass selbst nach drei Jahren Debatte um „Dual Use of Concern“ ein
großer Bedarf an Klarheit besteht: Was genau bezeichnet „Dual Use“? Worin liegt
der „Concern“? Etc. Die Community der Forscher müsse Begrifflichkeiten klar
bestimmen und differenziert einsetzen, sonst bestehe die Gefahr, dass die
Virologie unter den Generalverdacht eines „Science Risk“ gestellt werde, so
einige Teilnehmer während der Diskussion.
Der Nutzen der Grundlagenforschung muss im
Verhältnis zu ihren Risiken erklärt werden
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Prof. Dr. Stephan
Ludwig (Universität
Münster) |
Aufbauend auf einer begrifflichen Grundlage, die es
noch zu erarbeiten gilt, müsse eine Kommunikationsstrategie entworfen werden. „Das
verzerrte Bild des Forschers, der im Keller Monster baut, darf sich nicht
manifestierten“, mahnte Prof. Dr. Stephan Ludwig von der Universität Münster,
Veranstalter des Workshops. Er forderte, dass der Nutzen der
Grundlagenforschung im Gegensatz zu den Risiken in Zukunft deutlicher
herausgestellt werden müsse.
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Prof. Dr. Joachim
Schiemann (Julius-Kühn-
Institut) |

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Dies impliziere auch, potentielle Stakeholder in
der Diskussion zu einzubinden. „Man muss eine Kommunikationsstrategie
erarbeiten und die Stakeholder einbeziehen“, riet Prof. Dr. Joachim Schiemann
vom Julius-Kühn-Institut, der von seinen Erfahrungen mit Protesten gegen die
Grüne Gentechnik berichtete. Seine Erfahrungen lehrten ihn, Stakeholder-orientierte
Workshops durchzuführen. So könne ein gewisses Verständnis füreinander
entstehen und eine gemeinsame Annäherung stattfinden. Insbesondere würden
letztlich auch die Ergebnisse davon profitieren. Wer genau die Stakeholder der
Dual Use-Forschung sind, muss in Zukunft genauer analysiert werden.
Austausch wird in Kommission der GfV und
Zoonosenplattform fortgesetzt
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Referenten und Teilnehmer diskutierten angeregt über die Konsequenzen der Dual Use-Debatte für die Forschung.
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Ein Forum, um Definitionen zu erarbeiten und aus
ihnen weitere Schritte in der Dual Use-Debatte abzuleiten, möchte eine
Kommission zur Begleitung von Forschung mit DURC-Potential sein, die an
die Gesellschaft für Virologie (GfV) angeschlossen ist und kurz vor
ihrer
offiziellen Gründung eine erste Sitzung im Anschluss an den Workshop
abhielt.
Diese Kommission könnte als Interessenvertretung der Virologen bei der
Umsetzung von Ethikrichtlinien nach außen dienen, Ansprechpartner für
die
Öffentlichkeit sein sowie den internen Dialog innerhalb der
Infektionsforschung
aufrechterhalten. Ziel soll es sein, Mechanismen zu finden, die für
DURC-relevante Projekte und die Arbeit der betrauten Kommissionen
greifen.
Da die DURC-Debatte auch die mikrobiologische
Fachwelt betrifft, wird hier aktuell eine Vernetzung mit der Deutschen
Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) angestrebt, um eine
gemeinsame Strategie zum Umgang mit den Konsequenzen der Debatte auszuarbeiten.
Für die Einbeziehung der Öffentlichkeit und der Stakeholder
in die DURC-Debatte steht die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen zur
Verfügung. Sie ermutigt Forscher, Anträge für weiterführende Workshops zur
DURC-Debatte zu stellen, um dem Diskussionsbedarf Raum zu geben.
Weitere Informationen:
- Programm des Workshops
- Stellungnahme der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen und der AG Zoonosen und Infektionsforschung (AG ZI) der TMF zu den Empfehlungen des Deutschen Ethikrats zum Thema „Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“
- Website der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen