„Wie man sich das in der Zoonosenforschung vorstellt“
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit über die Kooperation zwischen Human- und Tiermedizin und die Entdeckung eines neuen Borna-Virus
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg (© Alex Tomazatos)
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit leitet am Bernhard-Nocht-Institut für
Tropenmedizin die Virusdiagnostik und eine Arbeitsgruppe, die sich mit
Arboviren beschäftigt. In einer seiner jüngsten Publikationen im New England
Journal of Medicine geht es jedoch um ein neues Borna-Virus, das von Bunthörnchen
auf Menschen übertragen wurde.
Prof. Dr.
Schmidt-Chanasit, worum geht es in der Publikation?
Es gab eine lange Diskussion, ob Borna-Viren
Menschen krank machen können aber seit nunmehr 10 Jahren hatte man sich darauf
geeinigt: Nein, Borna-Viren sind nicht humanpathogen. Unsere Studie liefert nun
erste Hinweise, dass dieses neue Borna-Virus humanpathogen ist. Das betrifft
allerdings nicht das bisher bekannte, klassische Borna-Virus, das hauptsächlich
Pferde krank macht.
Was
hat das für Konsequenzen?
Wir haben ein komplett neues
Borna-Virus entdeckt, das man vorher nicht kannte. Das neu entdeckte Borna-Virus
ist ganz anders: Es wurde bei Menschen und Tieren nachgewiesen, genauer gesagt,
bei Bunthörnchen und drei Patienten, die an einer Gehirnentzündung verstorben
sind. Das Fass ist somit jetzt neu aufgemacht worden. Jetzt muss man schauen,
ob es doch noch andere Borna-Viren gibt, die eine Relevanz für Menschen haben.
Deswegen schaut man breiter, auch in anderen Nagetieren oder Insektivoren, also
Insektenfressern. Das ist nicht mein hauptsächlicher Forschungsschwerpunkt,
aber weil ich für die Diagnostik verantwortlich bin, haben wir jeden Tag Proben
von ungeklärten Todesfällen auf dem Tisch.
Es
waren ja verschiedene Wissenschaftler an der Studie beteiligt – wie kam das?
Die Identifizierung des neuen
Borna-Virus ist ein Gemeinschaftsprojekt vom Bernhard-Nocht-Institut für
Tropenmedizin und dem Friedrich-Loeffler-Institut. Da haben sich auf ideale
Weise Humanmediziner, Veterinäre und Biologen miteinander verbunden, so wie man
sich das in der Zoonosenforschung auch vorstellt. Und aufgrund dieser intensiven
Zusammenarbeit war es auch nur möglich, dieses neue Borna-Virus zu entdecken.
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Jagd auf Stechmücken
(© Alex Tomazatos)
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Und wie
kam die Geschichte ins Rollen?
Drei Patienten waren an
einer Gehirnentzündung verstorben, aber man konnte die Ursache diese Erkrankung
nicht aufklären. Wir Humanmediziner haben die Verstorbenen mit verschiedenen
Methoden untersucht, aber alle Untersuchungen waren negativ und somit war für
uns dann die Sache erledigt. Aber alle drei Patienten hatten Bunthörnchen
gezüchtet und die Kollegen, die Veterinärmediziner, haben eines dieser Tiere
untersucht. In diesem Tier wurde das neue Borna-Virus entdeckt. So konnte man
die Patientenproben dann retrospektiv auch darauf untersuchen und wir haben das
neue Borna-Virus dort auch gefunden und anschließend weiter charakterisiert.
Die
Patienten hatten sich also vermutlich durch die Hörnchen infiziert?
Genau. Das zeigt sehr schön,
was heutzutage das große Problem ist und warum die Zoonosenforschung so wichtig
ist: Die betroffenen Patienten waren alle Züchter von exotischen Hörnchen, die
normalerweise Wildtiere sind und schon gar nicht nach Deutschland importiert
werden sollten. Aber das ist für manche eben ein ausgefallenes Hobby. Und wenn
man mit diesen Tierchen, die normalerweise in Mittelamerika durch den
tropischen Regenwald hüpfen, zu tun hat, dann kann es eben dazu kommen, dass man
erkrankt und verstirbt. Für Szenarien mit neuen Erregern gibt es ja noch andere
Beispiele, denn die natürliche Grenze zwischen Mensch und exotischen wilden Tieren,
die es früher gab, wird immer mehr durchbrochen.
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Hund mit Stechmücken
(© Alex Tomazatos)
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Wie
einfach oder schwierig war denn die Zusammenarbeit von all den
unterschiedlichen Wissenschaftlern?
Die war sehr gut. Das außergewöhnlich Gute an der Kooperation
war erst einmal: Wir kennen uns natürlich, wir arbeiten schon seit mehreren
Jahren zusammen. Das Wichtige ist, dass man sich bei solch umfangreichen
Studien vertraut und dass man nicht das Gefühl hat, der eine nimmt dem anderen
irgendetwas weg. Dieses Grundverständnis war da und das hat auch erst die
Offenheit ermöglicht, bezüglich Ergebnissen, Probenaustausch usw. Dieser Austausch,
der ist nur möglich, wenn man weiß: Man wird nicht über den Tisch gezogen.
Und das „timing“ ist natürlich sehr wichtig. Wenn
das eine heiße Sache ist, dann muss auch alles andere stehen und liegen
gelassen werden, um die notwendigen Untersuchungen in wenigen Tagen abschließen
zu können. Sonst sind die anderen schneller. Die Konkurrenz schläft ja nicht.
Das war auch hier ganz hervorragend. Es kam zu
keiner Verzögerung, weil alle wussten, das ist ein ganz heißer Fall! Das ist
endlich der Beweis, dass Borna-Viren Menschen krank machen können, und dadurch
wird die ganze Virus-Familie auf einmal viel interessanter für die
Zoonosenforschung. Und nur dadurch ist es dann so gut publizierbar gewesen. Und
Publikationen sind die internationale „Währung“, mit der der Forschungswert
bemessen wird.
Dank unserer Zusammenarbeit
konnten auch die Veterinäre hochrangig publizieren, wie sich mit der
Veröffentlichung im New England Journal of Medicine gezeigt hat. Wir haben die
ganzen Daten zusammengelegt: Patientendaten, Tierdaten usw. Nur damit hat man
die Möglichkeit in Journals wie Lancet oder New England Journal of Medicine zu
kommen. Dieser interdisziplinäre Ansatz biete genau diese Möglichkeit, das ist
ganz toll. Sonst fehlen immer Puzzleteile. Und natürlich kommt diese
interdisziplinäre Zusammenarbeit auch den Angehörigen der verstorbenen
Patienten zu Gute: Es konnten weitere Infektionen vermieden werden und die
Todesursache wurde aufgeklärt.
Dann
ist Vertrauen also so wichtig wie Pipette und Skalpell?
Vertrauen ist das Wichtigste: Das alle das Gefühl
hatten, ihre Arbeit wird gewürdigt, sie werden nicht hintendran gestellt oder
bei der Publikation vergessen. Aber das hat sich nicht in einer Woche ergeben,
sondern wir kannten uns schon.
Der persönliche Kontakt ist eben wichtig und da ist
die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen ideal dafür. Alle sind auch
immer begeistert, wenn das Nationale Symposium für Zoonosenforschung in Berlin stattfindet.
Viele ärztliche Kollegen, die ich mitgebracht habe, haben gesagt: „So ein tolles
Symposium, das ist so offen. Da sitzt der Student neben dem Professor, da kann
man ganz offen diskutieren und Sachen besprechen, ohne auf die Hierarchie
Rücksicht nehmen zu müssen.“
Das Motto
des nächsten Zoonosensymposiums lautet „Research meets Public Health“ – was
versprechen Sie sich davon?
Da fokussieren wir mehr auf
den öffentlichen Gesundheitsdienst, den ÖGD. Das ist ganz wichtig. Wir müssen
mit den Leuten vom ÖGD zusammenkommen, da sollte noch eine stärkere Vernetzung
stattfinden. Oft wird der ÖGD durch die klinisch tätigen Kollegen – aber auch
durch viele Grundlagenwissenschaftler – in so eine Ecke gestellt: „Das sind ja
nur solche Verwaltungstypen, die ein paar Erbsen zählen“. Aber ich sag das auch
immer in den Vorträgen: Das stimmt nicht. Man erreicht nur in Zusammenarbeit mit
dem ÖGD eine Stufe, die wirklich exzellente Forschung ermöglicht, insbesondere
im Bereich der neu auftretenden Erreger in Deutschland. Ein Beispiel: Der erste
autochthone Dengue-Virus Fall in Japan seit dem 2. Weltkrieg ist nur mit Hilfe
des ÖGD in Deutschland diagnostiziert worden und wurde danach hochrangig
publiziert. Und ich könnte noch weitere Beispiele nennen, wo wichtige Fälle nicht
diagnostiziert worden wären ohne den ÖGD. Deswegen finde ich es wichtig, dass
man die ärztlichen Kollegen dort auch
besser versteht: Was machen die eigentlich, was brauchen die von uns? Dazu
findet ja die Tagung im Oktober statt, das ist schon mal sehr gut.
Was
würden Sie sich von oder für die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen
wünschen?
Als Traum: Die Stärkung der Nationalen Forschungsplattform
für Zoonosen. Weil wir genau so eine Plattform in Deutschland brauchen und nur
so die Möglichkeit haben, exzellente Studien auf hohem Niveau zu verwirklichen.
Wünschenswert wäre, dass die Plattform mehr Geld zur Verfügung hat und noch
mehr interdisziplinäre Projekte fördern kann. Über die Zoonosenplattform können
Projekte beantragt werden, aber das Fördervolumen ist relativ limitiert. Das
ist meist ein Jahr, auf 100.000 Euro begrenzt. Wenn hier mal größere Projekte, richtige
Verbundprojekte, im Millionenbereich, vergleichbar mit der DFG, machbar wären,
dann wäre das ein großer Fortschritt. Das muss natürlich durch die beteiligten
Ministerien umgesetzt werden. Ich denke aber, dass sie auf einem guten Weg ist.
Und als zweites, dass die Zoonosenplattform
auch über die deutschen Grenzen hinweg noch mehr Disziplinen vernetzt. Ich
denke, das ist auch angedacht und ich finde das auch ganz wichtig: Das, was
jetzt in Deutschland gut funktioniert – Veterinäre, Humanmediziner, Klimaforscher
und Biologen zu vernetzen – kann man nun auf ein europäisches Level übertragen.
Denn da kenne ich diese gute Vernetzung noch nicht, da ist jeder ein bisschen
für sich, nicht so wie in unserer Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen. Vielleicht
könnte man dann auch international Vorreiter sein, das wäre wirklich wünschenswert.
Vielen
Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christina Sartori.