„Einem Erreger ist die Entfernung zwischen zwei Orten egal“
Nationales Symposium für Zoonosenforschung mit mehr als 300 Teilnehmern in Berlin
19.10.2016. „Indem
wir versuchen, die Welt aus der Perspektive des Erregers zu sehen, können wir
uns auf die Ausbreitung von neu auftretenden Infektionen besser vorbereiten“,
sagte Prof. Dr. Dirk Brockmann (Robert Koch-Institut und HU Berlin) in seiner
Keynote zur Eröffnung des Nationalen Symposiums für Zoonosenforschung, das mit
über 300 Teilnehmern am 13. und 14. Oktober 2016 in Berlin stattfand. Mit Hilfe
von Netzwerktheorie könnten Muster sichtbar gemacht werden, die sonst schwer zu
erkennen wären. Es folgten weitere Keynotes und Vorträge mit aktuellsten
Ergebnissen der Zoonosenforschung – unter anderem zu One Health, zu
Zika-Impfstoffen und zur Verbreitung alter Seuchenzüge, wie Pest und
Tuberkulose, in den vergangenen Jahrhunderten.
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Prof. Dr. Dirk Brockmann (Robert
Koch-Institut und HU Berlin) in seiner Keynote zum Thema "Complexity, Networks and Disease Dynamics"
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Netzwerkdarstellungen erweiterten die Grenzen unseres Sehens
– so wie dies infrüheren Epochen die Entwicklung von Teleskopen und
Mikroskopen getan hätten, erläuterte Brockmann, der zu komplexen Systemen in
der Biologie und insbesondere in der Infektionsepidemiologie forscht. Zentral
sei hier die Konnektivität zwischen den Knoten eines Netzwerks: „Einem Erreger
ist die tatsächliche Entfernung zwischen zwei Orten egal, Hauptsache, es gibt
viel genutzte Verkehrswege und es geht schnell“. Da liegen Frankfurt und Peking
plötzlich näher bei einander, als manche europäischen Städte – und der noch
nicht eröffnete Flughafen BER liegt einsam – und infektiologisch sicher – ohne
Reiseverbindungen im Nirgendwo. Die Anwendung der Netzwerktheorie zeige erneut
geometrische Ausbreitungsmuster, die bei der Beobachtung der herkömmlichen
Landkartendarstellung eher chaotisch wirkten. 2014 hatte Brockmann mit seinem
Team die mögliche Ausbreitung von Ebola über den Luftverkehr modelliert und für
die 1.227 größten Flughäfen weltweit das relative Risiko für den Import des
Erregers berechnet
Impfstoffentwicklung hinkt hinterher
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Prof. Ab Osterhaus (Leiter des Research
Center
for Emerging Infections and Zoonoses an der Medizinischen Hochschule
Hannover) in seiner Keynote zum Thema "AIDS, Avian flu, SARS, MERS,
Ebola, Zika…what next?" |
Einen Überblick über die Epidemien und Pandemien der
jüngeren Zeit, die durch zoonotische Erreger ausgelöst wurden, gab Professor Ab
Osterhaus, Leiter des Research Center for Emerging Infections and Zoonoses an
der Medizinischen Hochschule Hannover, in seiner Keynote. AIDS, Vogelgrippe,
SARS, MERS, Ebola oder Zika – für alle sind Viren verantwortlich. Gerade bei
Ebola und Zika zeige sich, dass der Mechanismus der Impfstoffentwicklung
unzureichend sei: In beiden Fällen seien die Erreger schon lange bekannt
gewesen, aber da die vorherigen Ausbrüche geographisch überschaubar geblieben
sind, sei nicht in die Entwicklung eines Impfstoffs investiert worden. Der
letzte große Ebolaausbruch sei letztendlich ohne einen Impfstoff mit anderen
Maßnahmen unter Kontrolle gebracht worden, und auch bei Zika sei zu erwarten,
dass die Epidemie vorüber sei, wenn endlich ein geeigneter Impfstoff zur
Verfügung stehe. Dabei sei die Eindämmung mit Hilfe eines rechtzeitig
verfügbaren Impfstoffes viel effektiver.
Als Initiator der One Health Platform, der
sich auch die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen für die deutsche
Community angeschlossen hat, wies Osterhaus darauf hin, dass die wesentlichen
Elemente der Vorsorge gegen neue und neu auftretende Infektionskrankheiten in
„Friedenszeiten“ entwickelt werden müssten. Hierauf werde die Plattform auch
aus Anlass des internationalen One Health-Tages am 3. November 2016 hinweisen.
Neue Hypothesen zur Erregerverbreitung aus der Archäologie
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Prof. Dr. Johannes Krause (Direktor des
Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte) in seiner Keynote zum Thema "What we learn about Zoonosis from the past" |
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Die Geschichte der Infektionskrankheiten beim Menschen begann wahrscheinlich erst im Neolithikum (Jungsteinzeit) vor etwa fünf-
bis zehntausend Jahren, vermutlich aufgrund von zoonotischen Erregern, die mit
der Domestizierung von Tieren auf den Menschen übersprangen. Das erklärte Prof.
Dr. Johannes Krause, Direktor des Max-Planck-Instituts für
Menschheitsgeschichte in seiner Keynote am zweiten Tag des Symposiums. Bisher
sei noch wenig bekannt über die Evolution von zoonotischen Krankheitserregern,
über ihre Evolutionsraten und über die Wirt-Erreger-Interaktionen über lange
Zeiträume hinweg. Diese mit Methoden der Genomforschung zu untersuchen und mit
den Genomen moderner Pathogene zu vergleichen, könnte langfristig einen Beitrag
zur Prädiktion und Prävention zoonotischer Infektionen leisten.
Krause berichtete, dass dabei auch überraschende Befunde
aufträten. So hatte man angenommen, dass eine der Pestpandemien ihren Ursprung
in China hatte. Allerdings habe sich gezeigt, dass die aus archäologischen
Funden isolierten Erreger mit Yersinia
pestis-Stämmen früherer europäischer Pandemien genetisch sehr eng verwandt
sind. Ein Vorhandensein des Erregers in Europa in der Zwischenzeit konnte
allerdings über einen längeren Zeitraum nicht nachgewiesen werden. Diese
Erkenntnis führte zu neuen Hypothesen über das Verbreitungsgeschehen: Entweder wurde
derselbe Erreger über die Jahrhunderte mehrfach von Asien nach Europa
eingeschleppt oder es gab in Europa ein unbekanntes Reservoir, in dem der
Erreger über Jahrhunderte überdauern und dann wieder auf den Menschen
überspringen konnte – eine Hypothese, die auch für die Seuchenbeobachtung heute
relevant sein könnte. Als sehr wahrscheinlich gilt jedenfalls inzwischen, dass Y. pestis über Handelswege von Europa
nach Asien verbracht wurde, um im 19. Jahrhundert von dort wieder nach Europa
wieder zurückzukehren.
Verschiedene Strategien für die Entwicklung eines Zika-Impfstoffs

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Prof. Dr. Pei-Yong Shi (University of Texas Medical Branch, Galveston/Texas) in seiner Keynote zum Thema "Zika virus replication and vaccine" |
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Zum Abschluss des Symposiums berichtete Prof. Dr. Pei-Yong Shi, University
of Texas Medical Branch (Galveston/Texas), in seiner Keynote über aktuelle
Untersuchungen zu Replikations- und Virulenzmechanismen des Zika-Virus und zur
Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Erreger. Für verschiedene Flaviviren
seien bereits Impfstoffe verfügbar, auf denen man aufsetzen könnte, so zum
Beispiel gegen Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Frühsommermeningoenzephalitis
und Dengue-Fieber. Für die Impfstoff-Entwicklung würden verschiedene Strategien
parallel verfolgt, von denen jede ihre spezifischen Vor- und Nachteile hätten.
Big Data in der Zoonosenforschung: Klare Regelungen sowie Harmonisierung
und Standardisierung von Daten notwendig
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Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann (Universität
Greifswald)
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Ein neuer Schwerpunkt des Symposiums war in diesem Jahr das
Thema Datenmanagement und Big Data in der Zoonosenforschung. Als Vertreter der
Gesundheitsstudie NaKo berichtete Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann (Universität
Greifswald) über das Management sensibler Daten in der Humanmedizin. Eine
aufwändige Architektur über die Datenflüsse und ein streng kontrolliertes Berechtigungssystem
stellten den Schutz der Daten für eine lange Aufbewahrungsdauer sicher. Klare
Nutzungs- und Zugangsregeln schafften zugleich die Grundlage für eine
bestmögliche Nutzung der Daten.

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Prof. Dr. Dag Harmsen (Universität Münster)
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Prof. Dr. Dag Harmsen, Universität Münster, berichtete über
den Einsatz der Ganzgenomsequenzierung für die Erforschung und Kontrolle von Krankheitsausbrüchen. Die Technologie erlaube es, Übertragungsmuster besser –
und zunehmend schneller – zu verstehen. Notwendig hierfür sei jedoch die
Verwendung klarer Klassifikationen und Normen. Durch deren Einsatz könnten der
Umfang und die Komplexität der anfallenden Daten deutlich reduziert werden.
Verschiedene Projekte, deren Aufgabe es ist, Daten über das
Vorkommen verschiedener Vektoren zu sammeln und in geographischen Karten zu
visualisieren, stellte Dr. Guy Hendrickx (AViA-GIS) vor. Die zu potenziellen
Vektoren vorliegenden Informationen seien verstreut und lägen häufig in sehr
unterschiedlichen Formaten vor. Zudem gebe es immer auch zahlreiche weiße
Flecken auf der Landkarte. Es müssten deshalb geeignete Methoden und Werkzeuge
entwickelt werden, um solche Daten in geeigneter Weise zu sammeln, zu
validieren, zu standardisieren und zu optimieren.
Ein Forum für Nachwuchsförderung und Austausch zwischen Wissenschaft und
Public Health
Das Nationale Symposium für Zoonosenforschung bot in diesem
Jahr erneut ein Forum
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Die Gewinner des Posterpreises von l.n.r.: Ramesh Pun (Universitätsklinikum Bonn), Jana Petzold (Universität Gießen), Nicole de Buhr (TiHo Hannover) und Alexander Volkwein (Institut f. Mikrobiologie der Bundeswehr München)
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für die fachliche Begegnung von führenden Köpfen der
Zoonosenforschung mit Nachwuchsforschern. Unter den 54 Vorträgen und 78 Postern
war der Anteil der Beiträge jüngerer Forscher sehr hoch.
An die Autoren besonders herausragender Poster
unter den Einreichungen der Nachwuchswissenschaftler wurden wie jedes Jahr
Posterpreise vergeben. Den ersten Platz erreichte Ramesh Pun vom Universitätsklinikum Bonn, den zweiten Platz
belegte Jana Petzold von der Universität Gießen und die zwei dritten Plätze
belegten Nicole de Buhr von der TiHo Hannover und Alexander Volkwein vom Institut
für Mikrobiologie der Bundeswehr in München.
Das Young Scientists Breakfast am zweiten Symposiumstag bot
den Nachwuchsforschern auch in diesem Jahr die Möglichkeit, sich mit
gestandenen Forscherpersönlichkeiten über verschiedene Karrierewege
auszutauschen.
Diese Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die
wichtige Funktion der Zoonosenplattform und des Symposiums für den Austausch
zwischen Wissenschaft und Gesundheitswesen hob auch Dr. Jürgen Thelen
(Bundesministerium für Gesundheit) in seinem Grußwort zur Eröffnung des
Symposiums besonders hervor. Da zoonotische Infektionskrankheiten eine große
Herausforderung für die Gesundheit der globalen Bevölkerung darstellten, hätten
vier Bundesministerien – für Gesundheit (BMG), für Bildung und Forschung
(BMBF), für Landwirtschaft (BMEL) und der Verteidigung (BMVg) – in diesem
Frühjahr die 2005 getroffene Forschungsvereinbarung zu Zoonosen erneuert.
Interner Beirat der Zoonosenplattform neu gewählt
Im Rahmen des Symposiums fand auch die jährliche
Mitgliederversammlung der Zoonosenplattform mit Wahl des Internen Beirat statt. Gewählt wurden folgende Personen:
Eine Vertreterin BMBF-geförderter
Zoonosenverbünde:
drei Vertreter BMEL- oder BMG-geförderter
Zoonosenverbünde:
- Prof. Dr. Uwe Rösler,
- Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit,
- Dr. Karin Schwaiger;
fünf weitere Vertreter der Zoonosenforschung:
- Prof. Dr. Martin Beer,
- Prof. Dr. Christian Drosten,
- PD Dr. Sandra Eßbauer,
- Prof. Dr. Martin Pfeffer,
- PD Dr. Rainer Ulrich;
ein Vertreter für den wissenschaftlichen
Nachwuchs (bereits im Sommer auf dem Junior Scientist Zoonoses Meeting
gewählt):
Darüber hinaus wurden folgende, ständige Vertreter der
Bundesinstitute BfR und RKI benannt:
- Dr. Anton Aebischer und
- Prof. Dr. Reimar Johne.
Die drei Standortleiter der Nationalen Forschungsplattform
für Zoonosen
- Prof. Dr. Martin Groschup,
- Prof. Dr. Stephan Ludwig und
- Sebastian C. Semler
sind ebenfalls ständige Mitglieder im Internen Beirat
Reihe 1 v.l.n.r.: Prof. Dr. Martin Pfeffer
(Universität Leipzig), Prof. Dr. Martin Groschup (Friedrich-Loeffler-Institut,
Greifswald - Insel Riems), Dr. Karin Schwaiger (Ludwig-Maximilians-Universität,
München), Dr. Sandra Eßbauer (Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr,
München), Dr. Birgit Walther (Freie Universität Berlin)
Reihe 2 v.l.n.r.: Dr.
Anton Aebischer (Robert Koch-Institut), Prof. Dr. Uwe Rösler (Freie Universität
Berlin), Prof. Dr. Martin Beer (Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald - Insel
Riems), Prof. Dr. Stephan Ludwig (Westfälische Wilhelms-Universität Münster),
Dr. Rainer Ulrich (Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald - Insel Riems), Dr.
Jan Schinköthe (Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald - Insel Riems),
Sebastian C. Semler (TMF - Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte
medizinische Forschung e.V., Berlin)
Nicht abgebildet: Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit
(Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg), Prof. Dr. Christian Drosten (Uniklinikum
Bonn), Prof. Dr. Reimar Johne (Bundesinstitut für Risikobewertung)