„Mitmachen kann jeder“
Interview mit Dr. Katja Hartig (DFG) und Prof. Dr. Ulrich Sax (UMG) zum Launch des ToolPool Gesundheitsforschung
März 2017. Im Rahmen
des TMF-Jahreskongresses 2017 wird das neue Portal ToolPool
Gesundheitsforschung an den Start gebracht. Der ToolPool unterstützt die
Planung, den Aufbau und den Betrieb komplexer IT-Infrastrukturen in der
medizinischen Forschung. Das Portal bündelt den Zugang zu IT-Werkzeugen,
Hilfestellungen und Beratungsangeboten, die unter dem Dach der TMF, in anderen
akademischen Organisationen oder von kommerziellen Anbietern erarbeitet wurden.
Im Interview erklären Prof.
Dr. Ulrich Sax (Universitätsmedizin Göttingen) aus Sicht der Forschung und Dr.
Katja Hartig (DFG) aus Sicht eines Förderers, warum es ein solches Portal braucht und
welche Erwartungen sie an den ToolPool stellen
Der ToolPool
Gesundheitsforschung bündelt Werkzeuge und Informationen rund um den Aufbau von
IT-Infrastrukturen für die medizinische Forschung. Warum braucht man so etwas?
Sax: An vielen
Standorten wurden und werden Werkzeuge entwickelt und man muss vermeiden, dass
jeder alles selbst neu erfindet. Deshalb empfiehlt es sich, ein Portal aufzusetzen,
wo man relativ einfach finden kann, welche Werkzeuge es andernorts gibt und
wie übertragbar sie sind.
Auf der TMF-Website gab es eine solche Sammlung im Prinzip
ja schon, aber sie ist dort etwas verborgen und bezieht sich eben nur auf
Werkzeuge, die gemeinsam in der TMF entwickelt wurden. Es ist notwendig, dass
die Leute, die darauf angesetzt werden, für ein Verbundforschungsprojekt eine
Infrastruktur zu konzipieren, schnell und unkompliziert einen Überblick darüber
bekommen, was es gibt, wie es funktioniert und wen sie ansprechen können
Hartig: Aus
Förderersicht ist natürlich hilfreich, dass Werkzeuge nachgenutzt,
weiterentwickelt und nicht immer neu entwickelt werden. Wir machen aber auch
immer wieder die Erfahrung, dass es bei Begutachtungen nicht so ganz einfach
ist, sich einen Überblick über den aktuellen Stand der Entwicklungen zu verschaffen.
Es gibt von den Gutachtern häufig die Bitte um Unterstützung. Wir haben zwar
mit GEPRIS eine Datenbank für unsere eigenen geförderten Projekte, aber das ist
eine ganz andere Form von Informationsübersicht und umfasst eben auch nur die
DFG-Projekte. Insofern halte ich es in vielerlei Hinsicht für extrem sinnvoll,
eine Übersicht und damit verbunden auch eine Wertschätzung für die Leute, die
das entwickeln, zu bekommen.
Herr Sax,
die von Ihnen geleitete TMF-Arbeitsgruppe IT-Infrastruktur und
Qualitätsmanagement (AG IT-QM) hat den Aufbau des Portals maßgeblich
vorangetrieben. Wie sind Sie bei der Konzeption vorgegangen?
Sax: Wir sind
ganz pragmatisch vorgegangen und haben uns überlegt, was die Forschungsverbünde
denn brauchen. Aus der Erfahrung wissen wir, dass es nicht reicht, nur Lösungen
anzugeben oder Softwarepakete zu verschicken, sondern dass das Angebot in einen
viel größeren Workflow eingebettet sein muss. Das geht von ‚Wie trainiere ich
meine neuen Mitarbeiter?‘ über ‚Wo bekomme ich Beratung zum Zusammenspiel der
verschiedenen Komponenten?‘ bis zu ‚Und wo kann ich die Software inklusive
Ansprechpartnern tatsächlich vor Ort erleben?‘.
Das gehört ja alles zusammen.
Sehr hilfreich war die Zusammenarbeit mit der Agentur, die die
Konzeption des Portals begleitet hat, vor allem die Entwicklung von Personas,
die uns geholfen haben, uns zum Beispiel in die Sicht eines Dekans zu versetzen
oder in die Sicht eines Arbeitsgruppenleiters oder eines frisch eingestellten
Mitarbeiters. Ich denke, deshalb sind die Informationen und Produkte im Portal tatsächlich
sehr leicht zu finden.
Das Wichtige wird jetzt sein, dass wir genug Fahrt aufnehmen
mit diesem Portal. Es lebt ja von den Produkten und von den Services, die
eingestellt, abgerufen und kommentiert werden. Es war uns sehr wichtig, dass es
nicht ein statisches Portal ist, auf das man klickt oder auch nicht, sondern dass
eine Bewertung stattfindet und dass es Erfahrungsberichte gibt. Die Nutzer sind
das im Privatleben ja gewohnt: Man sieht auf Amazon eben nicht nur, welches
Produkt das billigste ist, sondern man schaut auch nach, ob es auch fünf Sterne
oder nur zwei Sterne hat, um so auch gleich eine gewisse Einschätzung zur
Akzeptanz mitzubekommen.

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Nutzer können über das Thema einsteigen, das sie bearbeiten müssen, oder über die Phase, in der sich ihr Projekt gerade befindet. Auch die direkte Suche nach einem geeigneten Werkzeug ist möglich.
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Frau Hartig,
Sie sind ja auch in der Konzeptionsphase zu Ihren Erwartungen befragt worden.
Was ist Ihnen besonders wichtig an so einem Portal?
Hartig: Wichtig
ist aus meiner Sicht genau das: Dass es eben mehr als eine Liste ist, dass es
eine interaktive Komponente gibt und wirklich eine Rückmeldung aus der Praxis
für diese Produkte möglich ist.
Man muss sich auch Gedanken darüber machen, wie man die Entwickler
dazu bekommt, ihre Produkte dort einzubringen. Also: was ist ganz konkret der
Anreiz? Wie könnte man die Anbieter belohnen, wenn sie an so einer Struktur
teilnehmen?
Natürlich ist es klar, dass so eine Sammlung nicht von
Anfang an vollständig sein kann, aber der Wunsch wäre trotzdem, so viele hilfreiche
Dinge wie möglich mit aufzusammeln, und das vor allem im ersten Jahr, in dem es
sich etabliert. Die meisten Nutzer gehen eben nur ein, zwei Mal in ein neues Portal
und testen, ob sie damit etwas anfangen können, und sind dann relativ schnell
wieder weg, wenn es nicht sofort nützlich ist. Man hat daher nicht viele
Chancen, die Nutzer zum Bleiben zu überreden.
Sax: Genau. Wir
müssen dafür sorgen, dass das Portal fliegt, denn die Nutzer werden sehr, sehr
kritisch damit umgehen. Das gleiche Problem sehen wir beispielsweise auch bei
der Registrierung klinischer Studien, da gibt es ja auch dieses Motivationsproblem.
In der Ausarbeitung
des Rats für Informationsinfrastrukturen, die kürzlich unter der
Leitung von Otto Rienhoff erschienen ist, ist auch benannt worden, was das
Problem sein könnte: Viele Drittmittelprojekte entwickeln Software, es gibt
einen Prototypen – und dann ist das Projekt zu Ende. Es gibt wenig Incentives
(wie Reputation oder Publikationen), die Software wirklich produktreif zu
machen und auf den Markt zu bringen. Der ToolPool könnte vielleicht helfen,
eine Nachfrage zu generieren, so dass die Arbeit nicht für die Schublade war
und honoriert wird.
Ich denke da auch an die FAIR principles, die 2016
in Nature Scientific Data veröffentlicht worden sind. Dabei geht es um Daten,
die Prinzipien gelten aber aus meiner Sicht ganz genauso für Software, die findable,
accessible, interoperable und reusable sein sollte: Beim
Finden hilft das Portal. Der Zugang ist dann dadurch, dass ich Ansprechpartner
habe, vielleicht etwas leichter. Interoperabilität ist eine Sache, die sich
viele Leute auf die Fahnen schreiben müssen, weil sie eine Voraussetzung dafür
ist, dass man Software wiederverwenden kann. Da haben wir noch ein Stück Weg
vor uns. Die Software ist oft handgeschnitzt und passt für ein Projekt
hervorragend, ist aber leider an anderen Standorten nicht nutzbar. Das ist ja
das, was wir im IT-Report auch oft monieren: dass es zwar an den Standorten
tolle Lösungen gibt, die aber an anderen Standorten aus verschiedenen Gründen
nicht funktionieren können.
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Eine leistungsfähige Suchfunktion (Volltext- und Facettensuche) erleichtert das Auffinden von geeigneten Werkzeugen und Informationen.
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Welche Art
von Tools werden denn über das Portal bereitgestellt, und wie werden sie
ausgewählt? Wer kann überhaupt seine Produkte im Portal veröffentlichen?
Sax: Thematisch
haben wir uns an dem seit 2012 jährlich erscheinenden IT-Report der TMF
orientiert. Produkte sind nicht nur Software, sondern auch Frameworks, Konzepte
oder Beratung. Wir haben Kriterien aufgestellt für Produkttypen, aber auch für
Aspekte wie Verfügbarkeit, Support und den bisherigen Einsatz des Werkzeugs im
medizinischen Forschungskontext. Und mitmachen kann jeder, der ein Werkzeug
entwickelt hat, das den Kriterien entspricht, also nicht nur die „alten
TMF-Hasen“.
Es besteht natürlich ein gewisser Spagat zwischen
Werkzeugen, die aus einem Drittelprojekt entstanden und vielleicht fast fertig
sind, aber noch ein Touch-up brauchen, und kommerziellen Anbietern, die ihre
Werkzeuge wirklich verkaufen wollen. Ich denke, da müssen wir eine gewisse
Vielfalt zulassen.
Frau Hartig,
die DFG fördert ja seit 2016 acht Projekte, die zusammen mit der TMF
Infrastrukturen aufbauen. Was erwarten Sie daraus für Produkte?
Hartig: Die
Projekte sind sehr unterschiedlich, da sind Checklisten dabei, aber auch
Software-Entwicklungen oder Ansätze, mit denen Informationen oder kleinere
Infrastrukturen zusammengefasst oder eine bessere Informationsbasis für
Forschungsprozesse geschaffen werden soll. Die Produkte sind so unterschiedlich
wie die Herausforderungen in der medizinischen Forschung.
Die Idee dahinter war vor allem, die Relevanz von Strukturen
wie der TMF für die Forschung mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Dadurch dass
die Projekte alle um die TMF herum angesiedelt sind, lässt sich einmal mehr
ausloten, auf welche Weise so eine
zentrale Struktur, eine Bündelung oder gemeinschaftliche Koordination wichtig
ist.
Der ToolPool ist eine sinnvolle Möglichkeit, um zu zeigen,
dass es nichts bringt, wenn Werkzeuge einfach nur entwickelt werden, aber sich
nirgendwo jemand zentral darum kümmert. Man braucht einen koordinierten Zugang
und eine Suchmöglichkeit, um auf diese Werkzeuge auch irgendwann einmal zu
stoßen und damit sie von anderen weiterentwickelt werden können.
Neben dem Informationsaustausch geht es vor allem auch um die
Aufbereitung der Information. Wir befinden uns hier an der Schnittstelle
zwischen Informatikern und solchen Nutzern, die oft nur ein bisschen in diese
Themen hineinschnuppern und die man ködern muss, ohne dass sie besonders viel
Zeit aufwenden. Deshalb finde ich die Idee des Portals ganz richtig, die Themen
herunterzubrechen und auf Beteiligung zu setzen. Ich glaube, dass der ToolPool
sehr wichtig sein wird.
Wir haben aktuell auch eine Ausschreibung zur Nachhaltigkeitvon Forschungssoftware, weil bei uns eben auch erkannt worden ist, dass das
Problem oft nicht die Entwicklung der Software ist, sondern ihre Überführung in
eine Form, die von anderen nachgenutzt werden kann. Ich könnte mir vorstellen,
dass viele gute Ideen und vielleicht auch Produkte daraus in den ToolPool
hineinpassen könnten. Wir werden auch versuchen, das zu unterstützen und die Antragsteller
im Falle einer Bewilligung auf das Portal hinzuweisen.
Sax: Auf eine
Sache wollte ich noch einmal hinweisen: Es ist ja nicht damit getan, dieses
Programm einfach nur zu starten, sondern das bringt viel Arbeit mit sich. Ich
habe ja immer wieder auf das HarvardCatalyst-Portal hingewiesen, das für mich gewissermaßen Vorbild für
unseren ToolPool war. Dort findet man ebenfalls nicht nur die Software oder
Dienstleistungen, sondern auch Hinweise für Schulungen oder Beratung. Als ich
zuletzt in Boston war, habe ich gesehen, dass dort zehn Vollzeitkräfte arbeiten,
die nur dieses Portal pflegen. Das Portal ist somit kein Selbstläufer, sondern sehr
viel Arbeit.
Die
Hauptherausforderung wird wirklich sein, das Portal aktuell zu halten. Also die
Sachen nicht nur einzustellen, sondern dafür zu sorgen, dass sie von den
Anbietern auch beständig gepflegt werden. Auf jeden Fall ist eine jährliche
Überprüfung der Inhalte geplant.
Sax: Wir sind nur
wenige Leute und müssen das bündeln und zwar ganz konkret in der Arbeitsgruppe
IT-QM und mit dem jährlich erscheinenden IT-Report. Diejenigen, die dort
inhaltlich zuständig sind, gehen sowieso durch die verschiedenen Domänen und
überlegen, welche neuen Entwicklungen und Produkte es gibt und welche
vielleicht ausgelaufen sind. Das wird strukturiert gemacht, und wenn man das
eng miteinander verzahnt, bin ich zuversichtlich, dass es uns gelingt, den
ToolPool aktuell und lebendig zu halten.
Prof. Dr. Ulrich Sax ist Professor für Medizinische
Informatik an der Georg-August-Universität Göttingen und Leiter der AG
Infrastruktur für die Translationale Forschung im Institut für Medizinische
Informatik an der Universitätsmedizin Göttingen, Mitglied des IT-ReviewingBoards der TMF und Sprecher der TMF-Arbeitsgruppe IT-Infrastruktur und
Qualitätsmanagement (AG IT-QM).
Dr. Katja Hartig ist Programmdirektorin in der Gruppe Medizin der
Geschäftsstelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DGF). Sie vertritt die
DFG-Geschäftsstelle im Rat der Förderer der TMF.
Das Interview führten Inger Neick und Antje Schütt.
Weitere Informationen
- ToolPool Gesundheitsforschung
- Download Infoflyer zum ToolPool [PDF | 2 MB]
- IT-Report 2016 der TMF