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Long COVID: Daten als Hoffnungsträger

Beitrag von Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF e.V. und Leiter der Koordinationsstelle LongCARE

Sebastian C. Semler ist Geschäftsführer der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF). © TMF e.V.

In ihrem Koalitionsvertrag nennt die neue Bundesregierung die verstärkte Forschung zu Long COVID als eines ihrer Ziele. Dafür braucht es aber regulatorische und rechtliche Verbesserungen bei der Nutzung von Gesundheitsdaten. Ein Beitrag von Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF e.V. und Leiter der Koordinationsstelle LongCARE.

Müdigkeit, Schwäche, Konzentrationsprobleme - das sind nur einige der Symptome, die auf die Erkrankung Long Covid deuten können. Schätzungen gehen von einer sechststelligen Anzahl Betroffener in Deutschland aus. Das mit Long COVID verbundene menschliche Leid ist groß, die Kosten immens. Doch für Erkrankte gibt es oft keine adäquaten Angebote. In ihrem Koalitionsvertrag nennt die neue Bundesregierung die verstärkte Forschung zu Long Covid als eines ihrer Ziele. Damit dieses aber umgesetzt werden kann, braucht es regulatorische und rechtliche Verbesserungen bei der Nutzung von Gesundheitsdaten. 

Long COVID ist eine enorme Herausforderung für unser Gesundheitssystem. Die Erkrankung belastet Betroffene mit langanhaltenden Beschwerden und zeichnet sich durch eine teils schwer fassbare medizinische Symptomatik aus. Heilungsmöglichkeiten gibt es derzeit nicht. Die vorherige Bundesregierung ging von einer Anzahl Betroffener im sechsstelligen Bereich aus. Abgesehen vom individuellen menschlichen Leid, für das Long Covid steht, sind die Kosten für die Erkrankung im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft hoch, etwa durch lange Krankheitsausfälle oder Erwerbsunfähigkeit. Die gemeinnützige ME/CFS Research Foundation beziffert die jährlichen Kosten für Long Covid allein in Deutschland auf 63 Milliarden Euro. Die Versorgung der Betroffenen muss daher dringend verbessert werden.

Das ist auch in der Politik angekommen. Die neue Bundesregierung nennt in ihrem Koalitionsvertrag explizit das Ziel, die Forschung über Long COVID zu stärken. Mitte Mai gab Dorothee Bär, die neue Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, bekannt, die Forschung zu Long Covid ausbauen zu wollen. Dies bekräftigen Dorothee Bär und Nina Warken, die neue Bundesministerin für Gesundheit, auch bei einem gemeinsamen Treffen im Juli. Auch die Vorgänger-Regierung hatte sich des Themas intensiv angenommen. So rief das Bundesgesundheitsministerium unter Karl Lauterbach verschiedene Initiativen ins Leben, um die Forschung zu stärken und die Versorgung Betroffener zu verbessern, darunter die „BMG-Initiative Long COVID", die online Informationen für Akteure, aber auch für Betroffene und ihre Familien bündelt.

2023 wurde der Runde Tisch zu Long COVID gegründet, eine regelmäßig tagende hochrangige Diskussionsrunde mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Versorgung, Selbsthilfe und Politik, die nach Lösungen für die Herausforderungen der Erkrankung suchen. Daneben legte das Ministerium verschiedene Förderschwerpunkte für Projekte zur Versorgungsforschung bei Erwachsenen sowie Kinder und Jugendlichen auf. So werden im Erwachsenenbereich 30 Forschungsprojekte in den Jahren 2024 bis 2028 mit Steuermitteln in einem Umfang von 73 Millionen Euro finanziert. Vernetzt werden die Projekte durch die Koordinierungsstelle „LongCARE – Platform for integrated Long-COVID Care And REsearch", die bei der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF) angesiedelt ist. Zu ihren Aufgaben gehört es, eine Austauschplattform für die Projekte aufzubauen und die Arbeit der Projekte zu evaluieren.

Die Austauschplattform soll eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Forschungsgruppen und Versorgungseinrichtungen in den Projekten sicherstellen, um so Wissen zu bündeln, gewonnene Erkenntnisse in die Praxis zu übertragen und innovativen Behandlungsansätzen den Weg in die Versorgung zu bahnen. Das Ziel ist klar: Betroffene sollen von neuen wissenschaftlichen Fortschritten sowie standardisierter Diagnostik- und Therapiemethoden schnell profitieren. Basis der Projektarbeit ist die Forschung mit systematisch erfassten Gesundheitsdaten, durch deren Analyse Krankheitsverläufe besser verstanden, Behandlungen gezielt angepasst, Risikofaktoren für besonders schwere Verläufe identifiziert und personalisierte Therapieansätze entwickelt werden sollen. 

Wie andere medizinische Bereiche, profitiert auch die Forschung zu Long COVID von der Nutzung von Gesundheitsdaten und klar ist: Für eine zukunftsorientierte Entwicklung des Gesundheitswesens ist die qualitätsgesicherte Nutzung von Behandlungsdaten unabdingbar. Gesundheitsdaten sollten zur Behandlung von Patienten genutzt und auch in einem breiten Forschungsrahmen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, Prävention und medizinischen Innovationen eingesetzt werden. Hierzu ist in Deutschland mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) eine wichtige Basis geschaffen worden.

Doch noch existieren Herausforderungen: Der Zugang zu Gesundheitsdaten ist häufig noch durch hohe bürokratische Hürden, fragmentierte Zuständigkeiten und datenschutzrechtliche Unsicherheiten erschwert. Für eine wirksame Erforschung und Versorgung von Long COVID-Betroffenen müssen Datenquellen interoperabel, standardisiert, sektorenübergreifend verfügbar gemacht werden – sowohl für die Forschung als auch für die Versorgung. Das GDNG legt hierfür wichtige Grundlagen und setzt klare gesetzliche Rahmenbedingungen für die Sekundärnutzung. Entscheidend wird nun sein, wie die Umsetzung in der Praxis gelingt – mit niedrigschwelligen Antragsverfahren, einheitlichen Standards und verlässlichen Governance-Strukturen.

Um die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele zur Stärkung der Gesundheitsforschung – insbesondere zu Long COVID – tatsächlich zu erreichen, braucht es eine ambitionierte und zugleich pragmatische Weiterentwicklung des GDNG. Dazu gehören die Ausweitung des Datenpools über gesetzliche Krankenkassen hinaus, die bessere Einbindung von Versorgungsforschung und die gezielte Förderung von Modellprojekten mit hohem Innovationspotenzial. Wichtig ist dabei: Datenschutz und Datennutzung dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden – vielmehr braucht es eine Kultur des Vertrauens, Transparenz und Nutzens für Patienten. Nur so kann die datenbasierte Gesundheitsversorgung in Deutschland gestärkt und das volle Potenzial digitaler Medizin genutzt werden – im Sinne der Betroffenen und für eine resilientere Gesundheitslandschaft.