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Eine Biobank mit sehr hohem Ansehen in der Bevölkerung

Die Arbeitsgruppe Biomaterialbanken der TMF zu Besuch im Estnischen Genom Zentrum an der Universität von Tartu

Kryo-Spezialisten EGC

Zusammen mit dem Kryo-Spezialisten Atso-Heinar Jõks wird gezeigt, wie die speziellen Kryoröhrchen für die Aufbewahrung und Wiederentnahme aus Kühlbehältern mit flüssigem Stickstoff verwendet werden. © TMF e.V.

Mit einer zwölfköpfigen Delegation besuchte die Arbeitsgruppe Biomaterialbanken der TMF am 22. September 2010 die Biobank von Estland, besser bekannt als das Estnische Genom Zentrum (Estonian Genome Centre, EGC) an der Universität von Tartu. Nach ihrer regulären Sitzung am Vormittag im historischen Hauptgebäude der Universität Tartu besichtigte die Gruppe am Nachmittag die Biobank.

In einer geführten Tour, die vom Leiter der Biobank, Prof. Dr. Andres Metspalu, organisiert worden war, stellte er die Einrichtung vor. Das Ziel des EGC besteht im Aufbau einer Datenbank, die Gesundheits-, Abstammungs- und genomische Daten eines repräsentativen Teiles der estnischen Bevölkerung enthält. Insgesamt hat Estland 1,4 Mio. Einwohner. Am Tag des Besuchs der Biobank enthielt die Datenbank Informationen von über 48.000 Menschen, wie Professor Metspalu erklärte, der das estnische Genomprojekt als Pionier startete.

Die Teilnehmer an diesem Projekt werden zufällig und nicht aufgrund einer spezifischen Krankheit ausgewählt. Diese zufällige Auswahl führt dazu, dass eine sehr genaue statistische Verteilung der Krankheitsrisiken aufgrund bestimmter genetischer Variationen innerhalb der estnischen Bevölkerung nachgemessen werden kann.

Zurzeit werden viele internationale Kooperationsstudien mit Verwendung von Proben aus dem EGC durchgeführt. Darin untersucht man beispielsweise den Einfluss von genetischen Polymorphismen auf sogenannte antropometrische Merkmale, wie etwa Größenwachstum, Gewicht, Body-Mass-Index oder die Körperoberfläche. Andere Studien untersuchen physiologische Daten, wie zum Beispiel die Herzfrequenz, Menopause, Blutzusammensetzung, Zellen, Lipide, Glukose, Eisenstatus etc. Auch Krankheiten wie Typ2 Diabetes,  Schlaganfall, mentale Retardation, Fettsucht und chronische Erkrankungen wie Psoriasis werden untersucht.

Das EGC ist ein nationales Flaggschiff. Es wurde eingerichtet, nachdem das estnische Parlament im Jahr 2000 fast einstimmig das so genannte „Gesetz zur Forschung mit humanen Genen“ verabschiedet hatte, das zu Beginn des Jahres 2001 in Kraft trat. Dieses Gesetz reguliert die wissenschaftliche Arbeit über die Genetik der Esten, den Aufbau und Betrieb der nationalen Biobank und die Nutzung der genetischen Information durch die Forschung (einschließlich der informierten Einwilligung durch die Spender), die auf einer weitreichenden Zweckbestimmung basiert. Die Probenspender haben das Recht, die Ergebnisse der Forschung an ihren Proben zu erfahren, sie können dies aber auch bewusst ablehnen (Recht auf Nichtwissen). Ferner können sie aus einem laufenden Forschungsprojekt aussteigen. Probanden haben jederzeit die Möglichkeit, ihre Proben zurückziehen bzw. vernichten zu lassen. Das Gesetz verbietet dritten Parteien, wie beispielsweise der Polizei, Arbeitgebern oder Versicherungsgesellschaften den Zugriff auf die Datenbank. Auf diese Weise, so meint  Tõnu Esko, der als Wissenschaftler am EGC arbeitet, werde einerseits die wissenschaftliche Forschung über mit Krankheiten des Menschen in Verbindung stehende genetische Variationen auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Andererseits werde aber auch die Privatsphäre bzw. das Vertrauensbedürfnis der Spender geschützt und eine mögliche Diskriminierung verhindert, die auf der Kenntnis seiner genetischen Information beruhen könnte. Die Arbeiten und Ziele des EGS sind der estnischen Bevölkerung sehr bekannt und stoßen auf ein hohes Maß an Akzeptanz.

Die Daten und Proben werden über das gesamte Land verteilt von Allgemeinärzten gesammelt. Die Ärzte werden zunächst durch das EGC geschult, um die Werkzeuge, die bei dieser Rekrutierung zum Einsatz kommen, richtig anzuwenden. Bei der Patientenrekrutierung führen sie ein computerbasiertes Interview durch, bei dem die persönlichen Daten des Patienten, familiäre Faktoren, Umweltfaktoren, Ernährungsfragen, die Situation am Arbeitsplatz, Fragen der persönlichen Lebensführung etc. abgefragt werden. Diese Daten werden ergänzt durch klinische Daten der Spender entsprechend der Kodierung des ICD-10. Das Interview dauert ca. 60 bis 90 Minuten und bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung auf eine elektronische Gesundheitsdatenbank für ganz Estland, die es in Zukunft geben soll. Die Blutproben des Spenders werden nach standardisierten, qualitätsgesicherten Verfahren abgenommen und zum EDC transportiert. Am EGC wird aus den Blutproben nach ebenfalls streng qualitätsgesicherten Verfahren die DNA extrahiert. Zusätzlich werden weitere Proben, wie Plasma und Leukozytenfilme bzw. weiße Blutkörperchen isoliert und eingelagert.

Da von jedem Spender verschiedene Arten von biologischen Proben vorhanden sind, kann daran mit modernsten Technologien in den Bereichen Proteomik, Metabolomik und Transkriptomik sowie mit Genotypisierungsverfahren der neuesten Generation geforscht werden. Um die Proben zu lagern, verwendet das EGC mannshohe  Behälter, die mit flüssigem Stickstoff gefüllt sind (Kryotechnologie) sowie geeignetes Lagerungsmaterial, wie zum Beispiel spezielle Kryoröhrchen, im Rahmen eines automatisierten Systems zur Verpackung und Identifikation (mit Barcodes) von biologischen Proben.

Am Ende der Besichtigungstour durch die Laboratorien und nach fruchtbaren und interessanten Diskussionen kamen die Arbeitsgruppe Biomaterialbanken der TMF und Professor Metspalu überein, miteinander in Kontakt zu bleiben und zukünftig gegenseitig Ideen und Neuigkeiten über die Möglichkeiten von Kooperationen im Bereich der Biobanken auszutauschen.

Impressionen

Kryotanks

In solchen Kryotanks wird das Material der estnischen Spender aufbewahrt. © TMF e.V.

Aussenansicht EGC

Das Gebäude des Estnischen Genom Zentrums in Tartu, Estland – etwa fünf Minuten Autofahrt entfernt vom Hauptgebäude der Universität. © TMF e.V.

EGC Tartu

Die EGC-Labormanagerin Merli Hass erklärt die SOPs zur Isolierung von DNA, Plasma und Buffy Coat. © TMF e.V.

Konferenzraum EGC Tartu

Das Treffen der Arbeitsgruppe Biomaterialbanken der TMF im Konferenzraum des Hauptgebäudes der Universität Tartu, Estland. © TMF e.V.

Vortrag EGC Tartu

Die Arbeitsgruppe kommt zusammen und ... © TMF e.V.

Vortrag EGC Tartu Biomaterialbanken

... hört sich Vorträge an – hier spricht der EGC Wissenschaftler Tõnu Esko. © TMF e.V.

Hochsicherheitszone AG Biomaterialbanken

Hinter dieser verschlossenen und gesicherten Tür befindet sich die “Hochsicherheitszone”, die von jeglichen Telekommunikationswegen komplett abgeschirmt ist. Dort werden zum Beispiel die Einverständniserklärungen, die Spenderinterviews und das Verschlüsselungssystem aufbewahrt. © TMF e.V.