Die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellen
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Telemedizin verbunden mit intelligenter Haustechnik und Smartphone-Apps kann die Lebensqualität für Patienten und ältere Menschen verbessern und im Gesundheitswesen gleichzeitig Kosten sparen. Das wurde bei der TELEMED 2011 deutlich, die unter dem Motto „Telemedizin im privaten Raum – Perspektiven für IT-gestützte Services am 3. Gesundheitsstandort“ am 19. Oktober im Tagungszentrum der TMF in Berlin stattfand. Doch stehen einer breiten Nutzung solcher Systeme neben fehlenden technischen Standards noch ungelöste Haftungsfragen und teilweise zu hohe Kosten im Wege.
Sebastian C. Semler, wissenschaftlicher Geschäftsführer der TMF, eröffnet die TELEMED 2011. © TMF e.V.
Im Bereich der Telemedizin sollte man nicht von wirtschaftlichen oder technischen Aspekten her denken, sondern von den Bedürfnissen der Menschen, erklärte Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Ministerialdirektor im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Blickrichtung der aktuellen Förderpolitik des Ministeriums. Das Thema Wohnung sei für das BMBF zentral, denn alte Menschen wollten zuallererst „nicht aus ihrer Wohnung“ heraus. Telemedizinische Angebote, die den Senioren dies ermöglichen, seien deshalb wichtig. Dazu gehöre auch der Bereich Sicherheit für das Leben in der Wohnung, wofür AAL-Technologien nötig seien.
Telemedizin als Antwort auf den demografischen Wandel
Bis 2050 wird sich die Anzahl der chronisch Kranken in Deutschland aufgrund des demografischen Wandels verdoppeln. Dem wachsenden Pflege- und Betreuungsbedarf stehen jedoch nicht genug Ärzte und Pflegepersonal gegenüber. Die Nutzung telemedizinischer Anwendungen, zum Beispiel zur Nachsorge und Betreuung zuhause oder die Übermittlung von Vitalparametern an betreuende Ärzte in telemedizinischen Zentren kann vor diesem Hintergrund entlastend wirken. So wird gegenwärtig in vielen Projekten und Unternehmen daran gearbeitet, Ambient Assisted Living (AAL)-Technologien mit Smartphones und HealthApps sinnvoll zu verbinden, um den Patienten eine größtmögliche Eigenständigkeit, Gesundheit und Lebensqualität zu ermöglichen und gleichzeitig den Kostenanstieg für das öffentliche Gesundheitswesen zu begrenzen.
Ergebnisse telemedizinisch betreuter Gesundheitsprogramme sind besser
Die Vorteile einer App-gestützten telemedizinischen Betreuung von Patienten sind Lutz Kleinholz von der healthpartner consulting GmbH zufolge heute nachgewiesen. So mache beispielsweise die durch einen Arzt betreute telemedizinische Raucherentwöhnung bis zu fünfmal so viele Raucher zu Nichtrauchern wie andere Raucherentwöhnungsprogramme.
Die aktuell rasant wachsende Community der Nutzer von Smartphones schafft gute Voraussetzungen für solche Betreuungsangebote. 2011 wird voraussichtlich jedes dritte verkaufte Handy ein Smartphone sein. Im 1. Quartal 2011 sind weltweit 16,2 Mio. i-phones verkauft worden.
Die Krankenversicherungen, die die Patienten in ihre Präventions- und Disease-Management Programme schon seit längerer Zeit aktiver mit einbeziehen wollen, setzen deshalb zunehmend auf begleitende Smartphone-Apps. Immer mehr medizintechnische Geräte, wie beispielsweise Blutzuckermessgeräte, Lesegeräte für Diabetes-Teststreifen, Blutdruckmessgeräte, Waagen, Herzschrittmacher, etc. sind heute in der Lage, mit Smartphones zu kommunizieren. Ergänzend bieten Unternehmen wie Microsoft im Internet bereits Plattformen wie „Healthvault“ (in den USA) und „Assigno“ (in Deutschland) an, wo die auf Mobiltelefonen in Health-Apps gespeicherten Daten zentral ablegt und in die Präventions- und Versorgungsprogramme der Krankenkassen integriert werden können.
AAL- Systeme derzeit noch zu teuer
Viele Angebote zur telemedizinischen Überwachung von Patienten im privaten Umfeld setzen auf die Nutzung medizinischer Apps in Kombination mit AAL-Systemen. Letztere seien jedoch gegenwärtig für ein Massenprodukt noch zu teuer, stellte Dr. Gerhard Finking, Präsident des europäischen AAL-Vereins in Brüssel, fest. Zwar seien Assistenz und Sicherheit stark von den Verbrauchern nachgefragte telemedizinische Anwendungen. Wegen der hohen Anschaffungskosten gestalte sich die Markteinführung jedoch europaweit schwierig. In Deutschland gebe es keine gesicherte Grundfinanzierung für AAL-Assistenzsysteme, was ein Hemmnis für die Entwicklung des AAL-Marktes sei. Zudem sei in der Öffentlichkeit noch kaum bekannt, welche Sicherheitssysteme beispielsweise für den häuslichen Bereich überhaupt erhältlich sind.
Wenn die Health-App versagt
Auf ein haftungsrechtliches Problem im Zusammenhang mit der Nutzung von Health-Apps für die telemedizinische Betreuung von Patienten wies der Rechtsexperte Prof. Dr. Christian Dierks hin. Für behandelnde Ärzte und Hersteller sei es vor Gericht entscheidend, ob eine Health-App zertifiziert sei und medizinischen Standards entspreche. Die meisten Apps seien jedoch nicht zertifiziert. Gegenwärtig werde dieser Punkt noch unterschätzt, zumal vertragliche Haftungsausschlüsse im Bereich der medizinischen Behandlung unwirksam seien.
Die TELEMED wird jährlich gemeinsam vom Bundesverband Medizinischer Informatiker (BVMI) e.V., der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitstelematik (DGG) e.V. und der TMF-Technologie und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. ausgerichtet.
Impressionen
Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Ministerialdirektor im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erläuterte die Blickrichtung der aktuellen Förderpolitik des Ministeriums. Das Thema Wohnung sei für das BMBF zentral, denn alte Menschen wollten zuallererst möglichst lange selbständig in ihrem eigenen Zuhause leben. © TMF e.V.
Über haftungsrechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Nutzung von Health-Apps sprach der Rechtsexperte Prof. Dr. Christian Dierks. Für behandelnde Ärzte und Hersteller sei es vor Gericht entscheidend, ob eine Health-App zertifiziert sei und medizinischen Standards entspreche. Die meisten Apps seien jedoch nicht zertifiziert. Gegenwärtig werde dieser Punkt noch unterschätzt. © TMF e.V.
Mit rund 80 Teilnehmern war die TELEMED 2011, die im Tagungszentrum der TMF in der Berliner Georgenstraße stattfand, komplett ausverkauft. © TMF e.V.
Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke, Inhaber des Lehrstuhls für die Fachgebiete Öffentliche Finanzen und Gesundheitsökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht der Technischen Universität Berlin sprach über die ökonomischen Potentialen und Finanzierungsansätze altersgerechter Assistenzsysteme. Er sieht eine steigende Nachfrage nach AAL-Produkten, die einer eher geringen privaten Zahlungsfähigkeit bzw. –bereitschaft gegenüber steht und empfiehlt zu prüfen, inwiefern AAL-Systeme in das Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen werden könnten. © TMF e.V.
Nino Mangiapane, Leiter des Referates Grundsatzfragen der Telematik im Bundesministerium für Gesundheit, sprach über aktuelle Ansätze zur Förderung telemedizinischer Anwendungen, deren stärkere Nutzung aufgrund des demografischen Wandels von politischer Seite gewollt ist. © TMF e.V.
Für einen gelungenen musikalischen Rahmen der TELEMED-Abendveranstaltung sorgte das Gitarrenduo Gitarresque auf seinen 7-saitigen Instrumenten. © TMF e.V.