Interview

„In der Nutzung von Informations­techno­­logie liegen wir weit zurück“

Interview mit Prof. Dr. Otto Rienhoff zum neu erschienenen Handbuch zu Terminologien und Ordnungssystemen in der Medizin.

Ein Bild von Prof. Dr. Otto Rienhoff mit dem Zitat: "In der Medizin müssen Daten zwischen verschiedenen IT-Systemen ausgetauscht werden. Dies gilt für die Kommunikation der Daten genauso wie für deren inhaltliche Bewertung."

Prof. Dr. Otto Rienhoff ist Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der Universität Göttingen und Vorsitzender des Rats für Informationsinfrastrukturen. © TMF e.V.

Die Notwendigkeit, Daten über die Grenzen individueller IT-Systeme hinweg auszutauschen und zu nutzen, stellt die Patientenversorgung und die medizinische Forschung gleichermaßen vor große Herausforderungen. Dieser Austausch sollte bestenfalls standardisiert erfolgen, um Missverständnisse und Fehler zu vermeiden. Prof. Dr. Otto Rienhoff, Mitherausgeber des jetzt in der TMF-Schriftenreihe erschienenen Buches zu Terminologien und Ordnungssystemen in der Medizin, erläutert im Interview, warum eine semantische Standardisierung wichtig ist, wo Deutschland im internationalen Vergleich steht und welche Empfehlungen die beteiligten Experten für die Standardisierung im Gesundheitswesen der deutschsprachigen Länder geben.

Herr Professor Rienhoff, Sie sind Mitherausgeber des Buches. Warum ist eine semantische Standardisierung in der Medizin wichtig?
 

In der Medizin müssen Daten zwischen verschiedenen IT-Systemen ausgetauscht werden. Dies gilt für die Kommunikation der Daten genauso wie für deren inhaltliche Bewertung. Wenn diese Kommunikation nicht standardisiert erfolgt, kann es angesichts der Komplexität der individualisierten Medizin in Forschung, Lehre und Krankenversorgung zu erheblichen Missverständnissen und Fehlern kommen.
 

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
 

Das Thema der Terminologien und Ordnungssysteme in der Medizin wurde in der Vergangenheit vernachlässigt. So lernen beispielsweise Ärzte während ihrer Ausbildung keine Regeln für eine standardisierte problemorientierte Dokumentation. Außerdem haben Rechtstreitigkeiten bis heute zu Dauerfrust bei vielen Akteuren geführt.  Nicht zuletzt deshalb liegt das deutsche Gesundheitswesen bezüglich der Nutzung von Informationstechnologie weit hinter den nordischen und nordamerikanischen Staaten sowie etlichen Ländern Asiens zurück.
 

Sie haben das Thema mit einer Expertengruppe für das Gesundheitsministerium beleuchtet. Wie sind Sie vorgegangen?
 

Wir haben zunächst zwei Workshops mit vielen Akteuren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt. Anhand dreier ausgewählter Anwendungsszenarien wurde der Stand der Nutzung von Terminologien im deutschsprachigen Raum untersucht. Im Rahmen mehrerer Expertenworkshops wurden anschließend Empfehlungen zu internationalen Terminologien erarbeitet und darüber hinaus überlegt, wie mögliche Kooperationen der Länder im deutschsprachigen Raum aussehen könnten. Die Ergebnisse sind in einem zusammenfassenden Bericht aufgearbeitet worden. In dem Buch haben wir den Bericht um die wichtigsten fachlichen Hintergrundinformationen zu einzelnen Themen und Terminologiesystemen ergänzt, so dass es eine aktuelle Bestandaufnahme für die deutschsprachigen Länder liefert.
 

Welche Empfehlungen geben die Experten?
 

Die wichtigste Message ist, zügig aber schrittweise und in enger Abstimmung mit den anderen deutschsprachigen Ländern vorzugehen. Es werden Organisationsansätze vorgeschlagen, die Abhängigkeiten vom DIMDI oder der Industrie vermeiden und stattdessen die Stärken beider Seiten befördern sollen. Außerdem sind Investitionen der öffentlichen Hand notwendig, die abgestimmt über die Ministerien für Gesundheit, Forschung und Wirtschaft eingesetzt werden müssen. 

 

Prof. Dr. Otto Rienhoff ist Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der Universität Göttingen und Vorsitzender des Rats für Informationsinfrastrukturen.
 

Eine Kurzfassung des Interviews erscheint in der Zeitschrift E-Health-Com 6/2015. Das Interview führte Inger Neick.